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Wo Träume im Wind verwehen

Wo Träume im Wind verwehen

Titel: Wo Träume im Wind verwehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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auf und ab, und Caroline bemühte sich, nicht hinzusehen. Sie fühlte sich auch so schlecht genug.
    Als sie im hohen Spartina-Gras, in dem die Feuerfliegen ihr Unwesen trieben, einen silbrigen Baumstamm oberhalb der Gezeitenlinie erreichten, Treibholz, das vor vielen Wintern hier angeschwemmt worden war, setzten sie sich hin. Schnepfen schlitterten über den nassen Sand, der wie ein Spiegel glänzte. Skye barg den Kopf in den Händen. Homer hatte sich langsam die Treppe hinunterbegeben. Sobald seine Pfoten den Sand berührten, preschte er los, rannte wie ein junger Hund entlang der Gezeitenlinie.
    Caroline stieß Skye mit dem Ellbogen an.
    Skye hob den Kopf. Ihre trüben Augen hellten sich mit einem Mal auf. Sie lächelte, während sie zusah, wie Homer die Seemöwen von einem toten Molukkenkrebs verscheuchte. Seine Schultern wirkten müde, aber seine Miene war stolz. Mit hängender Zunge warf er den Schwestern einen prüfenden Blick zu.
    »Er vergewissert sich, dass wir auch hinschauen«, sagte Caroline.
    »Braver Hund!«, rief Clea. »Jag den Seemöwen ordentlich Angst ein!«
    Er stupste den Rückenschild des Krebses mit der Schnauze an. Es war ein riesiges Exemplar, von der Größe eines Esstellers, der steife Schwanz mindestens dreißig Zentimeter lang. Er rollte ihn auf den Rücken, um sicherzugehen, dass er nicht zwickte. Dann packte er die Schale mit den Zähnen, brachte ihn zu Caroline und legte ihn vor ihre Füße, wobei sein Schwanz wie ein Pendel hin und her schlug.
    »Er ist dein Hund«, sagte Skye. Caroline wusste auch ohne hinzusehen, dass Skye weinte.
    »Nein, er liebt dich«, entgegnete Caroline. »Er kann es nicht ertragen, dass es dir schlecht geht.«
    Skye erwiderte nichts. Sie starrte den Sand zwischen ihren Füßen an und wischte die Tränen mit dem Zeigefinger fort.
    »Was können wir tun, Skye?«, fragte Caroline.
    »Tun?« Skye blickte hoch. Ihr Gesicht war gerötet vom Weinen. Die Prellungen, die sie sich bei dem Autounfall zugezogen hatte, waren inzwischen bräunlich verfärbt.
    »Als Dad starb, war er betrunken«, fuhr Caroline fort. »Wir sprechen nicht darüber. Wir sagen, dass er Magenkrebs hatte, dass die Bestrahlung nicht anschlug, aber das ist nicht die ganze Wahrheit.«
    »Hör auf, Caroline!«, rief Skye flehentlich.
    »Lass sie, Skye«, warf Clea ein.
    »Hast du dich jetzt auch noch gegen mich verschworen?« Skyes Stimme klang, als würde sie sich von allen verraten fühlen.
    »Erinnerst du dich an die letzten Monate vor seinem Tod? Er hockte andauernd bei mir in der Bar. Er durfte keinen Tropfen Alkohol trinken wegen der Medikamente, aber er scherte sich nicht darum.« Caroline machte eine Pause, doch Skye reagierte nicht. »Wenn er trank, war er unausstehlich, und Dad war alles andere als unausstehlich.«
    »Er hatte nur noch kurze Zeit zu leben, Caroline!«
    »Aber es wäre nicht nötig gewesen, im Vollrausch zu sterben, Skye. Er hätte wie ein Mann sterben und der Wahrheit ins Gesicht sehen können, hätte
uns
ins Gesicht sehen können. Er hätte sich von uns helfen lassen können. Wir hätten die Gelegenheit gehabt, ihm zu sagen, dass wir ihm verzeihen, was immer es auch war, weswegen wir ihn seiner Meinung nach hassten. Weswegen er sich selbst hasste.«
    »Sag nicht, dass er sich hasste«, flüsterte Skye.
    »Aber das tat er. Gestern Abend hat Mom mich an etwas erinnert. Er hörte auf zu malen. Er hörte einfach auf!«
    »Wisst ihr noch, wie schwer es früher war, ihn aus seinem Atelier zu locken, um wenigstens zum Essen herunterzukommen?«, sagte Clea.
    »Sogar an Thanksgiving oder Weihnachten«, fügte Caroline hinzu. »Wenn er zu Hause war, war er in seinem Atelier und malte. Ich hätte gerne Fangen mit ihm gespielt oder einen Ausflug im Auto mit ihm gemacht, aber wenn die Tür zu war, kam man nicht an ihn heran. Die Dinge änderten sich in der Zeit, als er zu trinken begann. Urplötzlich arbeitete er nicht mehr. Er erlaubte es sich nicht mehr. Und Dad malte leidenschaftlich gerne.«
    »Ja, für sein Leben gerne«, sagte Clea.
    »Vielleicht hatte er eine schöpferische Blockade«, meinte Skye. »Ihr könnt euch nicht vorstellen, was das für ein Gefühl ist.«
    »Es war so, als hätte er aufgehört, uns zu lieben«, sagte Caroline. »Ich weiß nicht, wie es bei euch war, aber ich hatte jedenfalls den Eindruck. Vielleicht war er so blockiert, dass er nicht mehr malen, dass er seine Familie nicht mehr lieben konnte, nur noch trinken, ununterbrochen. Wir haben

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