Wo Träume im Wind verwehen
Augenblick in Zeit und Raum darin eingefangen war. Die dunkle Wolke würde vorüberziehen, die Sonne wieder scheinen, und alles würde sich verändern.
»Er war ein großartiger Maler«, sagte Clea.
»Wirklich erstaunlich.«
»Du hast sein Talent geerbt.«
»Danke.«
»Du hast mitbekommen, worüber wir uns gestern unterhalten haben, oder?« Clea deutete auf das Glas Wasser in Skyes Hand.
»Teilweise.« Skye trank einen Schluck.
»Du kannst nicht kreativ arbeiten, wenn du …«
Skye lächelte, dankbar, dass Clea ihr das Ende des Satzes erspart hatte. Caroline hätte »tot bist« oder »betrunken bist« hinzugefügt.
»Ich weiß.«
An der anderen Wand hingen drei Porträts von Skye und ihren Schwestern, die Hugh nach den Jagdausflügen gemalt hatte. Skye starrte das Bild von Caroline an, die den toten Fuchs im Arm hielt. Das Winterlicht war kalt und blau, die Landschaft tief verschneit, der Fluss zu dunklem Eis gefroren. Der Fuchs hing erschlafft in ihren Armen, Blut tropfte aus seinem Maul.
»Schau mal, Clea!«
Skye hatte etwas in Carolines Porträt entdeckt, was ihr bisher entgangen war – ihr Vater hatte eine Träne gemalt. Es konnte ein Schatten sein, aber aus dieser Perspektive war es eindeutig eine Träne.
»War die schon immer da?«
»Ja.«
»Bist du sicher?«
»Ganz sicher. Ich habe mich oft gefragt, warum nur auf Carolines Porträt.«
Das Bild zu betrachten hatte Skye immer traurig gestimmt, aber die Träne war ihr nie aufgefallen. Hatte Caroline wirklich an dem Tag geweint, als sie den Fuchs tötete? Hatte ihr Vater geahnt, dass die Jagdausflüge Tragödien heraufbeschwören, dass sie Unheil über seine Familie bringen würden? Oder hatte Caroline es gespürt?
»Dad pflegte normalerweise keine derartigen Aussagen in seinen Werken zu machen. Er überließ alles der Phantasie des Betrachters. Er muss das Bedürfnis gehabt haben, Carolines Tränen im Bild festzuhalten.«
»Als ob sie das Gewicht der ganzen Welt auf ihren Schultern trüge«, sagte Clea leise und verschlimmerte damit noch Skyes Schuldgefühle. »Dad malte einfach, was er sah.«
Joe Connor, von seinem Tauchgang zurück, kletterte an Bord und ließ das Wasser an seinem Körper hinunterrinnen. Es lief über das Deck ins Speigatt hinab. Zwar fror er, aber er fühlte sich wie neugeboren. Die Sonne war untergegangen, während er sich im Wrack aufgehalten hatte. Der Nebel war dichter geworden, hüllte die
Meteor
schwer und grau ein, und die Klänge der Glockenbojen und des Nebelhorns auf Moonstone Point trugen weit über das Meer. Joe hielt nach Sam Ausschau, aber er befand sich nicht an Deck.
Für heute waren die Arbeiten beendet. Der Kompressor war abgestellt. Die Taucher entledigten sich ihrer Kälteschutzanzüge und gingen zum Abendessen nach unten. Und sie sollten feiern. Heute waren sie auf die Hauptader ihrer »Goldmine« gestoßen.
Die Truhen waren unter etlichen Tonnen Schlick und Trümmern begraben. Nach den Messungen am Kiel zu schließen, wog das Schiff annähernd zweihundertzwanzig Tonnen, als es das Riff rammte. Das meiste Gewicht befand sich achtern, wo der hinterste Mast eine Gaffeltakelung hatte. Der Schauplatz des Dramas war ein Albtraum aus zerbrochenen Spieren, zersplitterten Planken und Bergen von Gestein, das als Ballast mitgeführt worden war. Doch dank eines mit großer Sorgfalt angelegten Tunnels, wissenschaftlicher Berechnungen und schierem Glück hatte Dan heute Morgen die erste Truhe gesichtet.
Joe war als Zweiter am Schauplatz gewesen. Sie tauchten mit Lichtern hinunter, an den sterblichen Überresten von Elisabeth Randall vorüberschwimmend. Joes Gedanken schweiften ab, zu Clarissa, der Kameenbrosche und Caroline. Sich in Erinnerung rufend, dass die Kontrolle über die Gefühle das A und O für eine gleichmäßige Atmung unter Wasser und einen sparsamen Umgang mit dem Sauerstoff war, zwang er sich, solche Gedanken aus seinem Kopf zu verbannen.
Dan hatte weiter vorne das Signal gegeben, ihm zu folgen. Joe tauchte im Zickzack durch einen Hindernis-Parcours aus zerklüfteten Felsen und zerschmettertem Holz. Dann fiel der Schein ihrer Lampen in eine Höhle, die gespenstisch aussah. Im Innern war es stockfinster, der Zugang wurde von spitzen und messerscharfen Bruchstücken des Wracks verwehrt. Doch in dieser Höhle, halb im sandigen Meeresboden vergraben, befand sich die Schatztruhe.
»Woran denkst du, Käpten?«, fragte Dan nun, der hinter ihm an Deck gekommen war.
»An den aufregenden Tag. Das
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