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Wo Träume im Wind verwehen

Wo Träume im Wind verwehen

Titel: Wo Träume im Wind verwehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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und war so tollpatschig, dass Joe sich beherrschen musste, ihn nicht zu packen, herunterzuziehen und so zu verhindern, dass er über Bord ging. Sich zurückzuhalten war eine Übung, die seine Duldsamkeit auf eine harte Probe stellte. »Es wird höchste Zeit, dass ich an meine Arbeit zurückkehre. Die Wale sind noch nicht da, aber ich könnte schon mal Wasserproben entnehmen, den Salzgehalt bestimmen …«
    »Und ähnliche Dinge erledigen.«
    »Oder aber ich bleibe hier …«
    »Ja?«
    »Ein bisschen länger zumindest. Dass wir das Gold gefunden haben, ist toll, und heute haben wir die Truhe gefunden. Ich wäre gerne dabei, wenn wir den Schatz bergen.«
    »Hm.« Joe lächelte innerlich über das »wir«.
    »Du siehst also, in welchem … Dilemma ich stecke. Ich möchte nicht, dass du denkst, ich verspräche mir etwas davon. Ich meine, einen Anteil am Gold!«
    »Tu ich nicht.«
    »Was ist schließlich Gold im Vergleich zu anderen Dingen im Leben? Du weißt schon, was ich meine. Dinge, die wichtig sind.«
    »Zum Beispiel?« Joe dachte an seine eigene Prioritätenliste.
    »Zum Beispiel die Familie. Die Natur. Das Meer. Die Liebe.«
    Joe nickte. Er blickte über das Meer zu den blinkenden Leuchttürmen auf dem Festland hinüber. Die Nachtluft ließ ihn frösteln. Liebe.
    »Ach ja, noch was. Pfirsichkuchen.«
    »Der Kuchen war prima, da stimme ich dir zu. Danke, dass du mir ein Stück gebracht hast.«
    »Schon gut. War er nur prima oder wichtiger als Gold?«
    »Schwer zu sagen.«
    Sam gab auf, was seine Brille betraf. Er setzte sie wieder auf, schielte über den Rand und sah, wie Joe seine Hand ausstreckte.
    »Lass mal sehen.« Sam reichte ihm die Brille. Joe holte sein Messer aus der Tasche. Er war der große Bruder gewesen, der zur Schule ging und in Sams Kindheit fehlte. Er hatte ihm kein Spielzeug zusammengebaut, wie es ältere Brüder zu tun pflegten, und kein Fahrrad repariert. Daran dachte er nun, als er an Deck der
Meteor
stand und die Schraube an Sams Brille festzog.
    »Fertig.« Er gab ihm die Brille zurück.
    »Klasse!« Sam setzte sie auf. Obwohl das Gestell strammer saß, war es immer noch ganz schön krumm und schief, und Sam grinste.
    »Sieht nicht schlecht aus«, sagte Joe lahm.
    »Ich glaube, ich muss mir eine neue besorgen.«
    Die
Meteor
schaukelte heftiger auf den Wellen, die immer höher geworden waren; der Wind frischte auf. Sie standen an Deck eines Bergungsschiffs und redeten über Brillen, obwohl Abschied in der Luft lag, über Pfirsichkuchen. Nicht zu fassen.
    »Wie lange werdet ihr noch hier bleiben?«, erkundigte sich Sam.
    Die Frage überraschte Joe. Er hatte nicht an den Kalender gedacht. Seine Aufmerksamkeit hatte dem Schiffswrack, dem Gold und einer unerledigten Angelegenheit an Land gegolten. Er wollte Firefly Hill einen Besuch abstatten und den Ort sehen, an dem sein Vater gestorben war. Er war der einzige Sohn, und es war ihm ein Bedürfnis, ihm die letzte Ehre zu erweisen. Aber er konnte sich ausrechnen, dass keines dieser Vorhaben länger als eine Woche in Anspruch nehmen würde.
    »Zehn Tage etwa. Höchstens«, sagte Joe.
    »Ich frage deshalb, weil ich mir überlegt habe, ob ich nicht noch ein paar Tage anhänge. Vielleicht kann ich euch ja helfen, das Gold zu bergen. Oder die Gesteinsproben katalogisieren. Aber nur, wenn ich nicht störe.«
    Joe ließ seinen Blick vom Horizont zu seinem Bruder wandern. Er schüttelte den Kopf.
    »Du störst nicht.«
    Sam nickte.
    Joe freute sich, dass er blieb. Aber er verstand sich nicht gut darauf, zu bitten oder sich diejenigen Dinge zu verschaffen, die für Sam wichtiger als Gold waren. Wenn es sich um einen verborgenen Schatz handelte, eingebettet in Schlammablagerungen auf dem Meeresboden, mit Abdrücken, den die Jahrhunderte im Metall hinterlassen hatten, fühlte sich Joe in seinem Element. Aber wenn es um Lebewesen ging, die lebten und atmeten, einen Namen besaßen und wussten, was Liebe bedeutet, kam er sich vor wie ein Fisch auf dem Trockenen.
    Trotzdem wollte sein Bruder bleiben. Joe hatte ihn nicht einmal darum bitten müssen. Angenommen, es gelänge ihm, über seinen eigenen Schatten zu springen? Sich an Land zu begeben und an die Tür einer bestimmten Person zu klopfen?
    Ihr zu sagen, was ihm durch den Kopf ging, wovon er träumte? Nur einmal angenommen.
     
    Skye saß auf der Fensterbank im Schlafzimmer, das sie immer noch mit Simon teilte. Sie liebte die nebelverhangenen Abende. Sie gaben ihr ein Gefühl von Sicherheit und

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