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Wo Träume im Wind verwehen

Wo Träume im Wind verwehen

Titel: Wo Träume im Wind verwehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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Geborgenheit, denn sie glaubte fest daran, dass der Nebel die Frevel der Menschen verbarg, ihnen ein Versteck bot. Skye hatte lange Zeit Angst- und Schuldgefühle gehabt und den Nebel immer als Zuflucht empfunden.
    Sie hatte Ton unter den Fingernägeln. Heute hatte sie vier Stunden im Atelier gearbeitet. Das Blatt schien sich endlich gewendet zu haben. Sie konnte nicht genau sagen, woran es lag, aber mit der Standpauke, die sie Caroline gehalten hatte, war eine Lawine in ihrem Innern ins Rollen gekommen. Oder Caroline hatte es endlich begriffen. An die Arbeit zurückgekehrt, hatte sie sich auf die
Drei Schwestern
konzentriert, eine Skulptur, in die sie ihre Gefühle gegenüber sich selbst, Clea und Caroline einzubringen hoffte.
    Sie wollte zeigen, wie nahe sie sich standen, aber auch die Distanz spiegeln, die zwischen ihnen herrschte. Skye hatte mit jeder nur erdenklichen Stilrichtung experimentiert – abstrakt, völlig abstrakt, symbolisch, surrealistisch. Sie hatte die Formen aus einem zusammenhängenden Block herausgemeißelt, der ihr Gefühl zum Ausdruck bringen sollte, dass sie eine fest gefügte Einheit bildeten. Einmal hatte sie in einem Anfall von Wut drei getrennte Tonklumpen auf die Tischplatte geklatscht, ungeformt und unzusammenhängend, um zu demonstrieren, wie unreif sie und ihre Schwestern in Wirklichkeit waren und wie wenig sie über sich selbst und andere wussten.
    Doch seit jenem Morgen am Firefly Beach mit Caroline hatte eine neue Idee Gestalt angenommen. Skye schuf drei Frauen, die einen Kreis bildeten. Sie hielten sich an den Händen, wobei eine der Schwestern zur Mitte des Kreises schaute, die andere nach außen und die dritte wieder nach innen.
    Diese Kombination erschien ihr reizvoll. Da sie zu dritt waren, würden immer zwei Schwestern, die sich die Hände reichten, in dieselbe und die Dritte in die entgegengesetzte Richtung blicken. Ungeachtet der Perspektive des Betrachters waren zwei Schwestern stets ein Herz und eine Seele, und die Dritte stand alleine. Aber wer waren die zwei? Und wer war die Dritte?
    Skyes Sicherheitsgefühl wuchs mit jedem Handgriff. Sie wusste, dass es ein Kampf war. Sie brauchte die enge Bindung an ihre Schwestern, aber gleichzeitig schreckte sie davor zurück.
    Sie war lange Zeit überzeugt gewesen, ihr größtes Problem sei der heimliche Groll, den sie gegen Joes Vater verspürte, der sich unten in der Küche umgebracht hatte, und gegen ihre Mutter, die ihr eigenes Leben – und Skyes – in die Waagschale geworfen hatte, sich geopfert hätte, um Caroline zu retten. Lebenslust ist etwas Wunderbares, dachte sie. Doch wie konnte man bei so vielen traumatischen Erfahrungen im Leben diejenigen bestimmen, die den Wunsch zu sterben weckten?
    Jahrelang hatte sie geglaubt, die Einzige zu sein, die litt. Die anderen hatten eine Möglichkeit gefunden, dem Kummer ein Schnippchen zu schlagen, seinem Bann zu entkommen. Drei Schwestern, aber warum ausgerechnet sie? Sie hatten alle an den Jagdausflügen teilgenommen, hatten alle ein Gewehr. Warum war sie diejenige gewesen, der ein nicht wieder gutzumachender Fehler unterlaufen war? Der einen Menschen das Leben gekostet hatte?
    Sie sprach nie darüber, hatte keiner Menschenseele etwas über ihre Nöte erzählt. Ihre Schwestern und ihr Vater ahnten es mehr oder weniger, aber weder ihr Mann noch ihre Mutter wussten, wie es wirklich um sie stand. Die Einzelheiten jenes Tages waren zu persönlich und zu schrecklich. Wenn sie sie jemandem anvertraut oder auch nur angefangen hätte, sich die Last von der Seele zu reden, würde sie möglicherweise an der ungeschminkten Wahrheit zu Grunde gehen.
    Tot, dachte sie. Das Wort klang wie das, was es beinhaltete: hart, kurz und grausam, wie die Kugel aus einem Gewehr. Sie holte die Wodkaflasche hinter einem Buch auf der Fensterbank hervor, füllte das kleine Kristallglas ein weiteres Mal und trank.
    Betrunken oder trinkend hatte Skye viele Stunden damit verbracht, die Jagd, das Gewehr und Andrew Lockwood aus ihren Gedanken zu verbannen und alles, was damit in Zusammenhang stand. Sie hatte getrunken, um betrunken zu werden, um zu vergessen, um glücklich oder traurig zu werden. Sie hatte getrunken, weil ihr der Alkohol schmeckte, weil sie dagegen war, Tiere zu töten, weil ihr Mann ungezügelten Sex mochte, weil sie Albträume von Schlangen unter dem Zeltboden hatte, weil ihr Vater aufgehört hatte sie zu lieben, weil sie
Schwanensee
hasste, weil sie auf dem Redhawk Mountain gewesen war, weil

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