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Wo Träume im Wind verwehen

Wo Träume im Wind verwehen

Titel: Wo Träume im Wind verwehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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irgendwo weit unten auf der Liste standen Augusta und die Mädchen. Oder besser gesagt, die Mädchen und Augusta. Sie war sich der Reihenfolge nie ganz sicher gewesen, und die Eifersucht und Schuldgefühle, die sie deswegen hatte, waren nach dem tragischen Unfall auf dem Blackhawk noch schlimmer geworden.
    Hughs Liebe zu den Mädchen offenbarte sich in den Porträts. Vor allem in Carolines. Mit
Mädchen im weißen Kleid,
seinem berühmtesten Werk, war es ihm gelungen, ihre Schönheit, Zerbrechlichkeit und Ernsthaftigkeit im Bild festzuhalten. Augusta erinnerte sich noch an den Tag, als er sie auf Firefly Hill skizziert hatte. Augusta hatte zugeschaut, hatte sich wie die böse Stiefmutter in
Schneewittchen
gefühlt und sich brennend gewünscht, Hugh möge sie an Carolines Stelle malen.
    Caroline hatte ein schlichtes weißes Abendkleid getragen. Sie hatte auf der Veranda gestanden, an eine der Säulen gelehnt, und auf das Meer hinausgeblickt. Ihre Augen waren leidenschaftlich und zugleich gramerfüllt. Sie glich den jungen Heldinnen in den griechischen Tragödien. Augusta erinnerte sich, dass sie sich beim Anblick ihrer ältesten Tochter gefragt hatte, ob sie wohl an einer tiefen, unstillbaren Sehnsucht litt. Ihre Miene war so traurig, dass es Augusta das Herz zerrissen hatte. Hugh hatte diese Empfindungen perfekt wiedergegeben.
    Während Augusta in den Alben blätterte, nippte sie an ihrem Martini und rief dabei eine Erinnerung nach der anderen wach. Sie stieß auf die Zeitungsartikel, die sie ausgeschnitten hatte, als sich
Mädchen im weißen Kleid
bei der Biennale in Venedig als Sensation entpuppte. Sie überflog den Text in der
ART news
und strich mit dem Finger über das Foto von dem Porträt. Die Farben waren wirklichkeitsgetreu – Carolines schimmerndes schwarzes Haar, das weiße Etuikleid mit dem leichten Blaustich, die dunkelblauen und grauen Schattierungen von Meer und Himmel.
    Aber es war der Ausdruck in Carolines Augen, der Augusta noch heute den Atem raubte – verstört und gequält. Augusta und die bekanntesten Kunstkritiker ihrer Zeit hatten noch nie ein so außergewöhnliches Porträt gesehen. Während Augusta Carolines Gesicht betrachtete, fragte sie sich noch immer, was ihr damals so viel Kummer bereitet haben mochte. Bestimmt waren es die beiden tragischen Todesfälle – James Connor und Andrew Lockwood.
    Augusta hatte keine Lust mehr, sich noch länger den Kopf zu zerbrechen. Sie büßte für die Fehler der Vergangenheit, jeden Tag, an dem sie hilflos zusehen musste, wie Skye immer mehr verfiel. Sie konnte die Uhr nicht zurückdrehen, aber wenigstens versuchen eine gute Großmutter zu sein.
    »Kinder, seid ihr gar nicht müde? Mark, Maripat! Kommt her! Ich habe eine kleine Stärkung für euch.«
    »Was denn?«, rief Mark atemlos.
    »Zitronenschnitten.« Augusta hielt ihnen den blauen Porzellanteller entgegen. »Selbst gebacken.«
    Die Kinder nahmen sich jedes eine, bedankten sich artig und kauten genussvoll.
    »Greift zu. Keine Angst, das verdirbt nicht den Appetit aufs Abendessen, und ich verpetze euch auch nicht bei euren Eltern. Was ist, habt ihr Lust, euch alte Fotos anzuschauen?«
    Die Kinder nickten. Augusta machte rechts und links neben sich Platz. Sie waren blond, mit Cleas makelloser Haut und Peters ernsten Augen. Mark legte seinen Kopf auf Augustas Schulter; sie lächelte erfreut.
    Sie schloss das Album mit dem Bild vom
Mädchen im weißen Kleid
und griff nach einem, das wirklich aus uralter Zeit stammte, aus ihrer Schulzeit in Providence und Narragansett. Augusta war in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen, hatte aber eine glückliche Kindheit gehabt. Wie sie es sich für ihre Töchter gewünscht hätte.
    »Das ist meine Mutter und mein Vater, und das ist mein Hund. Er hieß Spunky …«
    »Sind das deine Katzen?«, fragte Maripat und deutete auf Mew-Mew und Licorice.
    »Ja. Die Tiere waren mein Ein und Alles. Sie gehörten zur Familie.«
    »Mommy ist früher auf die Jagd gegangen«, sagte Mark stolz. »Einmal hat sie ein Wildschwein geschossen.«
    Augusta blinzelte. »Wilde Tiere sind nicht dasselbe«, erwiderte sie. »Die können sehr gefährlich werden.«
    Bemüht, zu glücklicheren Erinnerungen zurückzukehren, blätterte Augusta um, und sie betrachteten gemeinsam Fotos von ihrer Familie auf der Block–Island-Fähre, in den Arkaden zwischen Westminster und Weybosset Street, am Strand von Newport und bei ihrer Ballettvorführung im Gemeindesaal der Kirche.
    »Wer ist

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