Wo Träume im Wind verwehen
Zimmer bleiben, damit er meiner Mutter nicht über den Weg lief.«
»Weil du sie noch nicht überredet hattest, dir zu erlauben, ihn zu behalten«, sagte Mark einsichtsvoll. »Hast du ihm die Katzen zur Gesellschaft dagelassen?«
»Ja.«
»Und, sind sie Freunde geworden?« Maripat war froh, dass die Geschichte ein gutes Ende hatte.
»Nein.« Augusta wusste, dass sie sich bereits zu weit vorgewagt hatte, um noch einen Rückzieher machen zu können. »Er hat sie gefressen.«
Maripat sperrte Mund und Nase auf. Mark blickte verstört das Fotoalbum an. Bei dem ungeschickten Versuch, die Kinder zu trösten, landeten einige lose Fotos auf dem Fußboden. Maripat bemühte sich vergebens, die Tränen zurückzuhalten. »Aber warum?«, schluchzte sie.
»Tiny war kein Chihuahua«, erklärte Augusta so einfühlsam wie möglich. »Es war schrecklich. Als ich nach der Schule heimkam, fand ich nur noch Katzenfell und Blut. Überall auf dem Boden lagen abgenagte Knochen.
»Mew-Mew, Licorice!«, flüsterte Maripat weinend.
Mit Tränen in den Augen erzählte Augusta, wie Tiny am Fußende des blutüberströmten Bettes gesessen und sie angegrinst hatte, mit hängender Zunge, das Gesicht verzerrt wie eine Teufelsfratze. Blut tropfte von seinen Fangzähnen, als er ihr an die Kehle springen wollte. Es war ihr mit knapper Not gelungen zu entkommen und die Tür hinter sich zuzuschlagen.
»Er war eine Malabarratte, Kinder. Eine große vietnamesische Wasserratte, eines der blutrünstigsten Säugetiere der Welt. Der Tierarzt, der ins Haus kam, um die Katzenkadaver abzuholen, vermutete, dass sie auf einem Frachter aus Asien über das Meer gelangt und in unsere Bucht gefallen war.«
In diesem Moment kam Clea, um die Kinder abzuholen.
Die beiden begrüßten sie mit lautem Geheul. Clea ließ die Tasche mit dem Gemüse fallen, die sie in der Hand gehalten hatte. Sie breitete die Arme aus und drückte die schluchzenden Kinder an sich.
»Mom, was ist passiert?«, fragte Clea erschrocken.
»Mommy, Granny hatte früher ein Haustier, das ihre Katzen gefressen hat«, schluchzte Mark. »Ein böses Tier, das genauso aussah wie ein Chihuahua.«
»Hast du ihnen die Geschichte von Tiny erzählt?« Clea war fassungslos.
»Nun, ja«, gestand Augusta zögernd. »Habe ich. Sie wollten sie unbedingt hören.«
»Würdest du ihnen auch erlauben, mit Streichhölzern zu spielen, nur weil sie es unbedingt wollen? Oder Nachtisch vor dem Abendessen?«
Augusta presste die Lippen zusammen. Sie hatte ein schlechtes Gewissen. Die Zitronenschnitten würde sie mit Sicherheit nicht erwähnen. Sie hatte doch nur ein paar ungetrübte Stunden mit ihren Enkeln verbringen und ihre Liebe spüren wollen. Sie war der Ansicht gewesen, sie würden die Geschichte von Tiny spannend finden.
»Ich dachte, Kinder lieben spannende Geschichten!«
Clea schüttelte verständnislos den Kopf. Sie hob Mark und Maripat von der Veranda herunter in den Garten. Augusta sah zu, wie sie sich bückte und zuerst ihre Tochter, dann ihren Sohn an die Hand nahm und mit ihnen zur Steintreppe ging, die zum Strand hinabführte. Sie blieben oben stehen, betrachteten das Meer und lauschten den Wellen. Die Stimmen trugen weit, und nach ein paar Minuten war die Angst aus ihnen verschwunden. Es hörte sich an wie eine Mutter mit zwei Kindern, die eine ganz gewöhnliche Unterhaltung führten.
Mit zitterndem Kinn nippte Augusta an ihrem Martini. Er war warm und schmeckte verwässert. Sie hatte nicht die Absicht gehabt, die Kinder zum Weinen zu bringen. Sie hatte sich ihre Liebe mit Zitronenschnitten und alten Fotos sichern wollen. Liebe – das war alles, was sich Augusta von jedem Kind in ihrem Leben, von allen Menschen in ihrem Umkreis gewünscht hatte.
Sie blickte sich suchend nach Homer um, dem einzigen Geschöpf, das sie so zu nehmen schien, wie sie war, mitsamt ihren Fehlern und Unzulänglichkeiten. Aber er war verschwunden, hatte sich wieder einmal auf einen seiner rätselhaften Streifzüge begeben. Sogar er hatte die Nase voll von ihr, und sie konnte es ihm nicht verdenken. Sie kam sich wie ein Versager vor. Ganz gleich, was sie auch anfasste, alles ging schief.
»Ich kann dir gar nicht sagen, wie wütend ich auf meine Mutter bin!«
»Was hat sie angestellt?«, fragte Peter.
Clea hielt inne. In seine Arme geschmiegt, sah sie zu, wie die Kinder im Pool schwammen. Es war ein lauter, klarer Abend. Die Plejaden waren direkt über dem Schornstein zu sehen, und ungezählte Sterne standen am
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