Wo Träume im Wind verwehen
vorüberflitzen. Seemöwen hatten sich auf dem Dach der Tankstelle niedergelassen.
Joe fuhr zügig, den Ellbogen aus dem geöffneten Fenster gestreckt. Die blonden Haare wehten ihm in die Augen, und er strich sie fortwährend zurück. Er schaltete das Radio ein und gleich darauf wieder aus. Caroline starrte aus dem Fenster; sie fühlte sich angespannt, wusste nicht, was sie sagen sollte.
»Habt ihr die Kiste mit dem Gold gestern noch heraufgeholt?«, fragte sie schließlich.
»Nein, leider nicht. Wir wollten, aber das Meer hat uns einen Strich durch die Rechnung gemacht. Der Wind hat gestern Morgen aufgefrischt, und damit verändern sich die Strömungen. Meine Männer meutern, wenn wir die Arbeit nicht bald beenden.«
»Und wie ist es heute?«
»Heute hatte ich etwas anderes vor. Und davon abgesehen sind die Strömungen immer noch unberechenbar.« Mit zusammengepressten Lippen rang er sich ein Lächeln ab. Er blickte verstohlen zu Caroline hinüber. Seine Miene war angestrengt, unter seinen Augen lagen bläuliche Ringe.
Kein Wunder, sie waren auf dem Weg nach Firefly Hill, dem Ort, an dem das Unheil begonnen hatte.
»Weiß deine Mutter, dass ich komme?«
»Nein. Ich dachte, es sei besser so. Aber sie wird nicht zu Hause sein. Meine Schwestern sind mit ihr zum Teetrinken nach Providence gefahren.«
»Sie wissen Bescheid?«
Caroline nickte. »Ich habe es ihnen gesagt. Sie sind froh, sich nützlich machen zu können.«
»Es hat ja auch keinen Sinn, deine Mutter unnötig aufzuregen.«
»Bist du okay?«, fragte sie.
»Ja.« Er nickte und sah kurz zu ihr hinüber, dann kehrte sein Blick zur Fahrbahn zurück. Sie befanden sich an der Stelle, wo sich die gewundene Straße dicht an die Felsenküste schmiegte. Die Fahrt war nicht ungefährlich, aber Joes Augen wanderten immer wieder zu Caroline.
»Wir sind da«, sagte sie, als sie die letzte Kurve genommen hatten. Sie wies ihn an, in die Auffahrt einzubiegen, die den Hügel hinauf in ein Dickicht aus dunklen Bäumen führte. Oben angekommen, tauchten sie wieder in strahlendes Sonnenlicht ein. Caroline wollte ihn gerade auf die
Meteor
aufmerksam machen, die man am Horizont sehen konnte, aber Joe starrte auf das große weiße Haus, das sich zwischen ihm und dem Meer befand. Vermutlich dachte er an seinen Vater, an seine letzte Stunde. James Connor war ebenfalls den Hügel hinaufgefahren, hatte seinen Wagen abgestellt und war durch den Garten ins Haus gegangen.
Als er Caroline entdeckte, trottete Homer mit seinem Handtuch im Maul herbei. Er ließ es vor ihre Füße fallen, ein altes Begrüßungsritual, und blickte Caroline hechelnd und ergeben an. Joe kannte sich offenbar mit Hunden aus. Er hielt Homer die Hand hin. Der Hund schnupperte daran, dann sah er Caroline fragend an. Sie umfasste seinen großen Kopf und schüttelte ihn leicht. Dann bückte sie sich und berührte mit ihrer Stirn die seine.
»Alles in Ordnung, Homer.«
»Er möchte sich vergewissern, dass ich dir nichts tue«, sagte Joe.
»Das weiß er.«
Sie überquerten die Veranda an der Rückseite des Hauses und betraten den Windfang. Die Holzvertäfelung brauchte dringend einen neuen Anstrich. Das Linoleum war alt und brüchig. Gerahmte Bilder, von den drei Schwestern mit Fingerfarben gemalt, hingen an den Wänden. Caroline hätte ihn auch durch den Vordereingang ins Haus bringen können, durch das weitläufige Vestibül mit der geschwungenen Freitreppe, aber das war der Eingang, den die Familie zu benutzen pflegte. Und diesen Weg hatte sein Vater genommen.
Die Küche war offen und luftig. Große Fenster gaben den Blick auf einen mit Gras bewachsenen Hang frei. Er führte bis zu den Klippen, die schroff in den Long Island Sund abfielen. Der Fußboden war rot gefliest. Auf dem großen Eichentisch standen zwei Kaffeetassen, von Augustas und Skyes Frühstück stehen geblieben. An einer Wand hingen Familienfotos, aufgenommen in Paris, Siena, St. Lucia, Colorado. Zwischen zwei Fenstern befand sich ein silberfarbener Fisch, ausgestopft und auf einem Sockel befestigt. Ein Süßwasserlachs, den Caroline gefangen hatte, als sie dreizehn war.
Joe schaute sich um. Caroline sah, wie die Ader an seinem Hals pulsierte. Seine blauen Augen waren gefasst und nahmen alles auf. Er stand stumm mit fragender Miene in der Mitte der Küche.
»Da drüben.« Caroline nahm seine Hand. Sie fühlte sich groß und rau an, war mit Narben und Schwielen bedeckt. Man merkte auf Anhieb, dass der Mann, zu dem sie gehörte, sein
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