Wo Träume im Wind verwehen
warf ein anderer ein.
Der Mann an der Winsch sprach ins Mikro. Er presste den Finger gegen den Kopfhörer, um besser zu verstehen. »Roger. Winsch anlassen!« Dann betätigte er verschiedene Schalter am Steuerstand.
Caroline sah, wie sich das Drahtseil spannte. Die Truhe wurde offenbar hochgezogen. Ihr Magen verkrampfte sich vor Angst, als sie an das Kartenhaus dachte. Sie wandte den Blick ab, sah wieder zu den Blaufischen hin, die das Wasser aufpeitschten. Sie waren dichter an das Schiff herangerückt. Eine dunkle Silhouette näherte sich ihnen.
Es war ein Hai.
Im Wrack war es stockfinster. Kein Sonnenstrahl drang bis zum Meeresgrund durch. Der schwache Lichtschein der Taucherlampen fiel auf die Truhe, und Joe strengte seine Augen an, während er und Dan sie mit dem Stahlseil umwickelten. Sie hatten Seilführungen aufgestellt, Metallbögen, um das Stahlseil reibungslos durch das morsche Schiff zu befördern und zu verhindern, dass es das Wrack zum Einsturz brachte. Sie schienen zu halten.
Joe zählte seine Männer. Er hielt nach Sam Ausschau und war erleichtert, dass er sich an seine Anweisung gehalten hatte und dem Wrack ferngeblieben war. Sam hatte sich von klein auf an seine Fersen geheftet wie ein tollpatschiger junger Hund, aber wenn Joe verlangt hatte, in Ruhe gelassen zu werden, war er der Aufforderung nachgekommen. Joe zog an dem Stahlseil, um zu prüfen, ob es sicher in den Führungen lag. Das mache ich viel zu oft, dachte er, Sam sagen, dass ich in Ruhe gelassen werden möchte. Und anderen. Seine Gedanken wanderten zu Caroline, die auf Deck wartete, und er beeilte sich. Dann gab er das Signal zum Hochziehen.
Das Stahlseil spannte sich. Es schabte an der Führungsschiene und den Stützen entlang. Joes Herz hämmerte, und er verspürte den Drang, schneller zu atmen. Er war froh, dass Sam sich außerhalb des Wracks befand, in Sicherheit. Das Gold aus einem morschen Wrack hinauszuschaffen war der gefährlichste Teil der Schatzsuche. Der Teil, bei dem man sein Leben aufs Spiel setzte.
Das Stahlseil war nun straff. Die fest gegurtete Truhe holperte über den Meeresgrund. Die Taucher kreisten sie ein und hoben die alte, wie ein Paket verschnürte Kiste über die zerbrochenen Spieren. Dan behielt das Stahlseil im Auge, den Druck gegen die Seilführungen überprüfend. Er streckte die Daumen hoch, ein Zeichen für Joe, dass alles in Ordnung war. Joe schwamm hinter der Truhe nach oben; sie zog einen Schweif von Münzen nach sich, die aus einer Spalte im Holz zwischen den schützenden Gurten hervorquollen.
Sein Hauptaugenmerk war darauf gerichtet, die Truhe mit dem Gold an die Wasseroberfläche zu bringen. Das Hochziehen war nun leichter, seit sich die Truhe vom Meeresgrund gelöst hatte und durch das dunkle Wrack geleitet wurde. Überall lagen Gebeine verstreut, die sterblichen Überreste der Besatzung. Clarissas Mutter befand sich unter ihnen, aber Joe verdrängte den Gedanken an sie. Jetzt war er nicht Forscher, sondern Pirat, und es galt, den Schatz zu heben.
Als er das Wrack hinter sich ließ, wurde das Wasser heller. Joe war erleichtert. Er sah Sam, der in sicherer Entfernung wartete. Das Schlimmste war vorüber. Einer nach dem anderen kamen seine Männer heraus und folgten der Truhe mit dem Gold. Sie schwankte im Wasser hin und her, in dem Loch hängend, das sich im Rumpf der
Cambria
befand.
Das Stahlseil hatte sich verhakt.
Joe sah auf Anhieb, dass es sich nicht um ein schwerwiegendes Problem handelte. Das Stahlseil war zwischen den Seilführungen und einem zersplitterten Holz eingeklemmt. Dan signalisierte, dass er mehr Leine brauchte. Der Mann an der Winsch nahm die Spannung vom Stahlseil, wobei sich der Gurt von einer zerbrochenen Spiere löste. Das Stahlseil hing schlaff herab. Joe schwamm hinüber. Er hatte gerade die Hand nach oben gestreckt, um es zu lösen, als er den Hai sah.
Er war pfeilschnell. Schlank wie ein Torpedo, mit schwarzer Oberseite und weißem Bauch, glitt er direkt auf Sam zu. Ein ruckhafter Schwenk des Körpers, dann riss er das Maul auf, entblößte spitze, messerscharfe Zähne und strich dicht an Sam vorbei. Joe sah die verblüffte Miene seines Bruders. Sams Augen hinter der Tauchermaske weiteten sich. Er öffnete den Mund, aus dem ein Schwall Luftblasen entwich.
Joe packte eine zerbrochene Spiere, die auf dem Meeresgrund lag. Er hatte keinen Plan, handelte ohne nachzudenken. Er hatte nur eines im Sinn, seinen Bruder zu beschützen. Er stürzte sich auf den Hai, in
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