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Wo Träume im Wind verwehen

Wo Träume im Wind verwehen

Titel: Wo Träume im Wind verwehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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dem Versuch, ihn mit dem nutzlosen Holzprügel zu verscheuchen.
    Plötzlich verfing sich Joes Luftschlauch in der Metallführung. Das Drahtseil hatte sich wieder gestrafft und zerrte an der Kiste. Joe wurde zurückgerissen und spürte, wie die Luftzufuhr unterbrochen wurde. Nicht weiter schlimm, er musste sich nur aus seinen Gurten befreien und die Sauerstoffflasche hängen lassen. Aber der Hai und Sam lenkten ihn ab. Sam stand reglos da und beobachtete den Hai, der ihn umkreiste. Dann schlug der Hai mit der Schwanzflosse und drehte blitzartig ab. Joe behielt ihn im Auge.
    Während er an seinen Gurten zerrte, lächelte er Sam beruhigend zu. Der Junge war völlig aufgelöst, einer Panik nahe wegen des Hais und weil er seinen älteren Bruder zum ersten Mal in Aufruhr erlebt. Er schwamm zu Joe und nahm sein Mundstück heraus, um die Luft mit ihm zu teilen.
    Joe bedeutete ihm, sich nicht zu bewegen. Er hatte tief Luft geholt, genug, um langsam aufzutauchen. Aber Sam schwamm unbeirrt auf ihn zu. Er kannte die ungeschriebenen Regeln, wusste, dass man seine Luft mit einem Taucher teilt, der sich in einer Notlage befindet. Sams Augen waren unverwandt auf Joe gerichtet, und er hielt ihm das Mundstück wie ein Geschenk entgegen.
    In diesem Moment kam die Truhe mit einem Ruck frei. Sie schwang an Joe vorbei auf dem Weg nach oben. Ein Zittern lief durch das Wrack, als sich das Stahlseil losriss. Die
Cambria
erschauerte, die Schockwellen glichen einem Unterwasserbeben. Joe hatte sich wieder voll im Griff. Er streckte die Hand aus, um Sam wegzustoßen.
    Das Wrack sackte in sich zusammen, als hätte sich der Meeresboden verschoben. Es stürzte ein wie ein Kartenhaus, Holzteile wirbelten umher. Die Taucher stoben auseinander wie ein Schwarm Köderfische. Die Blaufische schossen in alle Himmelsrichtungen davon, der Hai war verschwunden. Joe spürte, wie eine Spiere auf seine Schulter krachte. Sam erwischte es schlimmer. Joe sah, wie das Stahlseil über seinen Hinterkopf peitschte.
    Sams Blut rann in das aufgewühlte Wasser.
    Joe wollte zu seinem Bruder schwimmen, um ihm zu helfen, aber er kam nicht von der Stelle. Er konnte den Arm nicht bewegen.
     
    Niemand hatte sich groß Gedanken gemacht, als Caroline auf den Hai deutete. Die Männer sagten, hier draußen bekomme man ständig Haie zu Gesicht, kein Grund zur Panik, das gehöre dazu, wenn man sein Brot als Taucher verdiene. Nur Städter, die keine Ahnung hätten, würden sich von Filmen wie
Der weiße Hai
Angst einjagen lassen. Caroline hatte gelacht. Sie wusste, dass sie den Männern Glauben schenken konnte. Sie war am Meer groß geworden und hatte nie gehört, dass Haie in den Gewässern um Black Hall einen Menschen angefallen hätten. Wie damals bei unseren Jagdausflügen, dachte sie. Wir waren zwar Bären und Wölfen begegnet, aber keiner hat uns gefressen.
    Caroline sah nun die Truhe. Sie befand sich dicht unter der Wasseroberfläche, die Metallbeschläge schimmerten. Sie war so groß wie ein Dingi, das Holz vom Alter geschwärzt. Mit grünen Algen und schartigen Rankenfußkrebsen überzogen, kam sie aus dem Meer, baumelte am Stahlseil hin und her, rundum von Tragegurten unterstützt. Der Mann an der Winsch hievte sie geschickt an Deck. Wasser strömte aus allen Nahtstellen.
    Vier schwarze Köpfe tauchten auf und hüpften auf dem Wasser auf und ab. Die Taucher kamen. Sie hielt nach Joe und Sam Ausschau und freute sich darauf, mit ihnen gemeinsam das Gold zu betrachten.
    Die Taucher schrien wild durcheinander. Sie kletterten auf die schwimmende Plattform und sprangen an Deck. Jemand benachrichtigte über Funk die Küstenwache und forderte einen Rettungshubschrauber an. Caroline rannte zur Reling. Sie starrte auf die Wasseroberfläche, betend, Joe und Sam zu sehen.
    »Der Hai?«, fragte sie. Sie dachte an die Jäger und ihre Beute, an ihre schlimmsten Ängste.
    »Das Wrack ist zusammengebrochen«, brüllte jemand und rannte an ihr vorbei.
    »Wo ist Joe?«, schrie sie. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. »Wo sind die beiden?«
    Weniger als eine Minute verging, dann tauchten sie auf. Die Männer, die sich noch im Wasser befanden, bildeten einen Ring um Sam. Sein Gesicht war leichenblass und blutverschmiert. Die Lider waren halb geschlossen, die Augen verdreht. Ein Blutschwall drang in regelmäßigen Abständen aus einer langen klaffenden Wunde hinter dem Ohr.
    Joe schnappte nach Luft. Er versuchte Sam über Wasser zu halten, doch sein linker Arm hing schlaff hinab. Sein

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