Wo Träume im Wind verwehen
Schwestern. Sie trug ein eng anliegendes schwarzes Top, verblichene Jeans und war von Kopf bis Fuß mit einer dünnen Tonschicht bedeckt. Neben ihr standen eine Flasche Wodka und ein Glas. Das Glas war voll.
Skye kam mit ihren Gefühlen nicht zurecht.
Sie hatte ihrer Mutter einen tödlichen Schlag versetzt. Noch immer sah sie ihr Gesicht vor sich, von Verzweiflung überschattet. Sie hätte es modellieren können, die Büste einer Frau, die soeben ihrer jüngsten Tochter bis auf den Grund ihrer leeren Seele geblickt hatte. Das war nichts Neues, aber Augusta war dennoch entsetzt gewesen. Skye hatte es an ihren Augen gesehen. Wodka war der schnellste Weg, sich dem zu entziehen. Sie nippte an ihrem Drink und spürte, wie alles andere verblasste.
Aber ihr neues Projekt erfüllte sie mit Liebe und Stolz. Obwohl die Schwestern keine Gesichter hatten, wusste Skye, welche der Figuren Caroline, Clea und sie selbst darstellten. Alle drei hatten den Kopf in den Nacken gelegt und blickten heiter und dankbar zum Himmel empor. Sich eines Tages so zu fühlen, war Skyes größter Wunsch.
Heiter und dankbar. Skye hob das Glas abermals an die Lippen und trank.
Die Renwicks hatten die Geheimniskrämerei und Lügerei zu einer Kunstform erhoben. Blieb ihnen denn eine andere Wahl? Die Wahrheit hätte sie zerstört. Ihre Eltern hätten sich scheiden lassen, dessen war sie sich sicher. Sie wünschte, sie könnte die beiden als liebendes Paar in Erinnerung behalten, so wie es in den Geschichten anklang, die über sie in Umlauf waren. Sie hatten gemeinsam die ganze Welt bereist, mit ihren Kindern, hatten Häuser in schönen Landschaften gemietet, die Hugh malen wollte. Sie hatten eine Phantasiewelt erschaffen, die sich nun auflöste.
Skyes Name leitete sich von dem Ort her, an dem sie gezeugt worden war, der sagenumwobenen Isle of Skye im Westen Schottlands. Ihre Eltern pflegten ihr von dem winzigen Cottage zu erzählen, gerade groß genug für ein Paar mit zwei kleinen Mädchen, in dem Tag und Nacht ein Torffeuer brannte. Sie hatten eine Zeit des unbeschwerten Glücks an diesem Ort verbracht. Augusta und die Mädchen waren auf dem schmalen Pfad am Meer spazieren gegangen, während Hugh Lachs fischte und jeden Tag malte.
Weihnachten – neun Monate später – hatte sich ihr Vater mit einer anderen Frau eingelassen. Der Ehemann war nach Firefly Hill gekommen, in der Absicht, Rache zu nehmen und die ganze Familie auszulöschen, und so hatte das Schicksal der Renwicks seinen Lauf genommen.
Als sie Schritte auf der Treppe hörte, drehte sie sich um. Simon stand auf der Schwelle, ihrer Sicht verborgen. Sie gewahrte nur den hageren Schatten, den das Licht im Flur warf, und atmete erleichtert auf, dass es nicht ihre Mutter war. Er stand lange Zeit reglos da, schien seinen ganzen Mut zusammenzunehmen. Sie hörte, wie er tief Luft holte.
Er betrat ihr Atelier mit einer roten Rose in der Hand und einer Entschuldigung in den Augen. Er trug schwarze Jeans, ein grünes T-Shirt und verschlissene Arbeitsstiefel. Langsam durchquerte er den weitläufigen Raum, in dem seine Schritte widerhallten. Als er vor Skye stand, kniete er vor ihr nieder und reichte ihr die Rose.
»Für dich.«
»Danke.« Sie hielt die Rose an die Nase und atmete ihren betäubenden Duft ein, fest entschlossen, sich nicht erweichen zu lassen.
»Ich habe sie im Garten gepflückt«, gestand er mit entwaffnender Offenheit.
»Warum?«
»Ich wollte beweisen, dass ich hierher gehöre, dass ich Teil deiner Familie bin. Das bin ich, und du weißt es.« Er barg den Kopf in ihrem Schoß. Langsam legte sie ihre vom Ton verkrusteten Hände auf seinen Kopf.
»Dein Vater hatte auch seine Fehler, trotzdem hat deine Mutter ihn mit offenen Armen wieder aufgenommen.«
»Vielleicht hätte sie das nicht tun sollen.«
»Hast du mir nicht erzählt, dass er die Rosen draußen als Symbol gepflanzt hat? Er wollte seinen Fehler wieder gutmachen, sie für alles entschädigen, was er ihr angetan hatte. Ich werde dich in Zukunft auf Händen tragen.«
Wieder atmete sie den Duft der Rose ein. Sie roch nach Moschus und Sex, wie die Liebe und das Ende des Sommers. Skye dachte an Caroline und Clea, und heiße Tränen brannten hinter ihren Lidern. Sie spürte, wie sie der Wirklichkeit entglitt. Sie wollte Simon glauben. Mehr als alles in der Welt wollte sie sich in der Liebe verlieren und Redhawk, das blaue Haarband,
Schwanensee
und den Blick in den Augen ihrer Mutter vergessen.
»So läuft das nicht
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