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Wo Träume im Wind verwehen

Wo Träume im Wind verwehen

Titel: Wo Träume im Wind verwehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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Himmel zu schlafen, zu spüren, wie die Nachtluft über die bloßen Arme strich, hatte ihr ein Gefühl grenzenloser Freiheit vermittelt. Und erst die Überraschungen, auf die man bei solchen Streifzügen allenthalben stieß, die wild lebenden Tiere oder Vögel, denen man unverhofft begegnete. Die Jagd aber hatte ihr zutiefst widerstrebt. Sie konnte weiß Gott keinen Gefallen daran finden, Lebewesen zu töten.
    Ihr Vater hatte versucht seine Töchter für diese Sportart zu erwärmen, aber man kann niemandem die Lust am Blutvergießen beibringen, der sie nicht in sich verspürt. Caroline erinnerte sich, wie sie den Fuchs erlegt hatte. Sie war sich wie eine Mörderin vorgekommen. Es war im Dezember gewesen. In jener Nacht hatte sie zum ersten Mal das Nordlicht gesehen. Sie hatte den toten Fuchs in den Armen gewiegt. Sein Körper hatte sie gewärmt.
    Allein auf ihrem Berggipfel, hielt sie nun nach einer Sternschnuppe Ausschau, um sich etwas zu wünschen, in Erinnerung an Andrew Lockwood. Das vergaß sie nie. Als sie eine erspähte, erschauerte sie, obwohl die Sommernacht lau war. Dann entdeckte sie eine zweite, für ihren Vater. An ihn zu denken fiel ihr nicht immer leicht. Aber sie zwang sich dazu.
    Während sie tief die Seeluft einatmete, fragte sich Caroline, ob Joe ihr Päckchen bereits erhalten hatte. Ob ihre Notiz ihn in Wut versetzt hatte? Und wenn schon. Sie hatte sie nicht geschrieben, um eine wie auch immer geartete Reaktion bei ihm auszulösen. Während sie auf dem Gipfel des Berges stand und das Schiff betrachtete, von dem sie sich vorstellte, es wäre Joes, empfand sie eine unerklärliche Verbundenheit mit ihm. Gewiss liebte er die Natur genauso wie sie, wenn er so viel Zeit auf dem Meer verbrachte.
    Caroline hasste die Jagd und hatte schon ein schlechtes Gewissen, weil sie gerne angelte. Zu warten, bis ein Fisch angebissen hatte, den Zug an der Leine zu spüren und das Kräftemesen zwischen ihr und der Beute empfand sie als spannend. Wenn sie ihm in die Augen sah, fühlte sie sich auf rätselhafte Weise mit allen Lebewesen verwandt. Doch in der Regel ließ sie den Fisch wieder frei. Sie hatte eine Zeit lang mit der Schleppangel im Moonstone Reef gefischt. Streifenbarsche und Blaufische tummelten sich im August in diesem Gewässer, auf dem Meeresgrund verbargen sich Lippfisch und Flunder. Sie wusste, dass ein Schiffswrack Fischschwärme anzog, und fragte sich, ob Joe sie wahrnahm oder ob er nur Augen für das Gold hatte.
    Vielleicht hatte er auch für Clarissas Tagebuch keinerlei Verwendung. Gut möglich, dass ihn nur die Aussicht auf den Schatz fesselte und nicht die Tragödie, die sich dahinter verbarg. Er war bereits vor seiner eigenen Geschichte davongelaufen. Als Caroline sie ihm erzählen und erklären wollte, welche Rolle sie darin gespielt hatte, hatte er sich geweigert, ihr Gehör zu schenken, weil seine Wut zu groß war.
    Oder seine Angst vor der Wahrheit.
    Als sich Caroline an den Abstieg machte, hatte der Halbmond den Himmel durchquert. Sie hörte Nachttiere im Gehölz rascheln, aber sie fürchtete sich nicht. Ihre Schritte waren sicher auf dem steilen Pfad, und außerdem hatte sie einen Wanderstab in der Hand. Sie folgte dem Ibis River, bis sie an das Anwesen gelangte, auf dem sich der Gasthof befand und wo die Gäste offenbar feierten. Sie hörte die Musik, die trunkenen Zurufe. Ein paar von ihnen hatten die Kleider abgelegt und standen im seichten Wasser des Flusses.
    Als sie das Cottage erreichte, läutete ihr Telefon.
    Um ein Haar wäre sie nicht rangegangen. Ihre Mutter war die Einzige, die zu so später Stunde anrief. Caroline starrte das Telefon an. Sie zählte die Klingelzeichen mit: fünfmal, sechsmal …
    Und wenn etwas mit Skye war? Wenn etwas passiert war? Caroline hob ab.
    »Hallo?«
    Keine Antwort. In der Leitung knisterte und rauschte es. Der Anruf schien von weit her zu kommen, vom anderen Ende der Welt oder aus einer anderen Hemisphäre, aus einem Flugzeug über dem Ozean …
    Oder von einem Schiff.
    Caroline meinte Wind und Wellen zu vernehmen. Sie spitzte die Ohren. Ihr war, als hörte sie jemanden atmen. Aber niemand meldete sich. Der Anruf war nichts weiter als zwei Drähte, die sich gekreuzt hatten. Die Leitung, statisch aufgeladen, summte wie ein ganzer Bienenschwarm, dann trat Stille ein.
    Die Verbindung war unterbrochen.
    Caroline legte auf.
     
    Am nächsten Morgen stieg Michele in aller Frühe auf eine Holzleiter und begann die japanischen Lampions aufzuhängen. Bis

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