Wo Träume im Wind verwehen
zum Ball waren es noch einige Tage hin, aber die Vorbereitungen brauchten ihre Zeit. In den Bäumen mussten Hunderte von Lampions befestigt und das hölzerne Podest errichtet werden, das als Tanzboden diente. Caroline hatte die alljährlich stattfindende Lustbarkeit Firefly Ball genannt, zu Ehren ihrer Eltern, und auf Kerzenlicht bestanden, das der Nacht schmeichelte. Sie hatte bei Bridal Barn Kerzen aus echtem Bienenwachs bestellt, die soeben von May Taylor geliefert worden waren.
May Taylor und ihre Familie – Frauen aus drei Generationen – führten den kleinen Familienbetrieb, der Hochzeiten für die Frauen in der Umgebung der Küste ausrichtete und Produkte aus dem eigenen Kräutergarten verkaufte. May und ihre fünfjährige Tochter Kylie freuten sich schon auf den Ball, weil das helle Licht ihrer handgedrehten Kerzen auf sämtlichen Tischen leuchten sollte.
Hinter der Scheune waren dreißig runde Tische aufgestellt; die langen weißen Damasttischdecken wurden am Nachmittag aus der Wäscherei zurückerwartet. Die japanischen Lampions waren farbenfroh und zart; sie tanzten an dem Draht, der rund um die Rasenfläche hinter dem Gasthof gespannt worden war. Michele hoffte, dass es am Abend des Balls wieder angenehm warm sein würde wie jedes Jahr.
Ein tropisches Tiefdruckgebiet zog von Savannah herauf, mit schwüler Luft und Temperaturen über dreißig Grad. Michele wusste, dass Caroline sich für den Abend des Balls nichts anderes wünschte. Ihr gefielen Männer ohne Jackett, mit gestärkten weißen Hemden, die an den verschwitzten Rücken klebten, und Frauen mit nackten Schultern und bloßen Füßen, die barfuß im kühlen Gras tanzten. Der Firefly Ball war eine Nacht, in der die Künstler ausgelassen feierten und ihren Gefühlen freien Lauf ließen, ohne konventionelle Beschränkungen oder Hemmungen.
Jedes Jahr wählte Caroline ein anderes Thema, das sie verschiedenen Kunstformen entlehnte. Dieses Jahr stand der Ball unter dem Motto »Mein Lieblingsgemälde«. Die Gäste hatten die Möglichkeit, unterschiedliche Stilrichtungen zu präsentieren. Clea und Peter kamen immer kostümiert. Letztes Jahr, als es um ihr Lieblingslied ging, hatten sie sich als »Rhapsodie in Blue« verkleidet, zwei Liebende, in blauen Chiffon gehüllt. Skye und Simon, direkt aus ihren Ateliers in der Scheune kommend, waren in ihrer mit Farbe und Ton verschmierten Arbeitskleidung geblieben, die sie im Lauf der Nacht in verschiedenen Büschen auf dem Gelände verstreuten. Caroline als Gastgeberin war schlicht in Abendrobe erschienen.
Michele fragte sich, was die Gäste wohl dieses Jahr trugen. Sie und Tim hatten geplant, als Figuren aus Seurats Gemälde
Isle de la Grande Jatte
zu kommen. Michele hatte ein langes weißes Kleid mit Sonnenschirm aufgetrieben, und Tim sah mit seinen Gamaschen und Bowler-Hut herrlich altmodisch aus. Caroline bestand darauf, dass sie am Ball teilnahmen – nicht um zu arbeiten, sondern als Gäste.
Als Michele auf halber Höhe der Leiter stand, einen karmesinroten Lampion in der Hand, erblickte sie plötzlich eine Gestalt, die Simon Whitford glich. Tatsächlich, er war es! Er stand auf der Veranda des Gasthofs, die Arme in die Hüften gestemmt, und sah blinzelnd in die Sonne. Er besaß ein düsteres Flair, das vielen brillanten Künstlern eigen ist, die nicht mit den Maßstäben gewöhnlicher Sterblicher gemessen werden können. Aber Simon war ein Trompe-l’œil, eine Augentäuschung, eine schlechte Kopie von Hugh Renwick.
Arme Skye, dachte Michele, einen Mann zu heiraten, der genauso exzentrisch wie ihr Vater, aber nicht so zart besaitet war. Michele fragte sich, was er hier noch zu suchen hatte. Bestimmt wollte er Skye sehen. Caroline hatte ihn mit Sicherheit nicht zum Firefly Ball eingeladen. Die Konfrontation war unvermeidlich. Von ihrem Hochstand auf der Leiter sah Michele Caroline aus dem Gasthof kommen. Sie steuerte geradewegs auf Simon zu. Ihr Gang war aufrecht und der Kopf leicht nach vorne gestreckt. Wahrscheinlich kniff sie die Augen zusammen, um besser zu sehen.
Caroline hatte in der vergangenen Nacht lange wach gelegen. Der Anruf, bei dem niemand in der Leitung war, hatte sie aus dem Konzept gebracht. Sie hatte sich schlaflos herumgewälzt, konnte keine Ruhe finden. Nach Mitternacht kam dichter Nebel auf und hatte das Anwesen umhüllt. Nebelhörner durchbrachen die Stille. Caroline hatte halb erwartet, dass das Telefon erneut läuten würde, aber es war stumm geblieben.
Als sie am
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