Wo Träume im Wind verwehen
kann ich dich wenigstens hören. Der Lärm war ja nicht auszuhalten«, sagte Joe. Er stand eine Handbreit von Caroline entfernt. Seine Haare waren zerzaust und fast so nass, als wäre er gerade von einem Tauchgang zurückgekommen. Er lachte unbekümmert und verwegen, und seine dunkelblauen Augen blitzten.
»Was ist passiert?«
»Nichts. Sie sind auf dem Weg zu deinem Gasthof. Ich habe ihnen heute Abend freigegeben.«
»Aha. Allein auf hoher See mit Joe Connor. Hast du vor, mich über Bord zu werfen?«
»Nein. Ich dachte nur, wir haben uns nach all den Jahren einiges zu erzählen, und wollte nicht, dass die ganze Mannschaft die Ohren spitzt.«
»Meinetwegen wäre das nicht nötig gewesen«, entgegnete Caroline, obwohl sie sich insgeheim darüber freute. Es war eine nette Geste, wenn ein Mann über seinen eigenen Schatten sprang und die Arbeit unterbrach, nur um sich in Ruhe mit ihr zu unterhalten.
»Wie wäre es mit einem Glas Wein?«, fragte er, und Caroline sah, dass er die Flasche, die sie mitgebracht hatte, in der linken Hand hielt. »Oder lieber etwas anderes?«
»Für mich bitte Wein.«
Er verschwand nach unten und kehrte gleich darauf mit einem Weinglas, einem Korkenzieher und einem weiteren Glas zurück, dessen Inhalt nach Saft aussah. Sie gingen an Deck, in die Nachtluft hinaus. Sie war klar und von schneidender Kälte. Die ersten Sterne funkelten am Himmel.
Sie lehnten sich an die Reling. Ohne die Mannschaft wirkte das Schiff plötzlich still und dunkel. Die Wellen schwappten leise gegen den Rumpf. Der Generator summte unten, aber das Geräusch störte nicht, wirkte in seiner Eintönigkeit sogar beruhigend. Aus dem Ruderhaus drang gedämpftes grünes Licht vom Radarschirm des Loran-Navigationssystems zu ihnen herüber und verbreitete gemeinsam mit dem warmen Schein der Messinglampe eine anheimelnde Atmosphäre. Caroline merkte, wie verkrampft vor lauter Anspannung ihre Schultern waren.
»Herrlich ist es hier.«
»Ich weiß, du hast das Wasser immer geliebt«, erwiderte er. »Salzwasser vor allem.«
»Das tue ich heute noch.«
»Ich auch.«
»Es freut mich, dass du eine Möglichkeit gefunden hast, deinen Lebensunterhalt auf See zu verdienen. Wann ist dir der Gedanke zum ersten Mal gekommen, die Schatzsuche zum Beruf zu machen?«
»Als ich den Brief von dir erhielt, in dem du die
Cambria
erwähnt hast.«
Sie lachte und trank einen Schluck Wein. »Nein, im Ernst.«
»Ja, wirklich. Allerdings nahm der Gedanke erst nach dem Studium richtig Gestalt an, während meiner ersten großen Fahrt im Indischen Ozean auf einem kleinen Forschungsschiff, das Studien über Sedimente und Salzgehalt durchführte. Dabei sind Wrackteile von einem Schiff in unser Netz gelangt, das vor rund tausend Jahren untergegangen war, und das weckte mein Interesse. An dem Tag haben wir eine Menge Gold heraufgeholt.«
»Vor tausend Jahren, sagst du?«
»Ja. Es handelte sich um ein türkisches Schiff, die Eigner waren Seidenhändler, und es war beladen mit Saphiren und Rubinen, Goldmedaillons, vergoldeten Statuen, Goldbarren, Bernsteintropfen und Münzen aus dem Jahre 990.«
»Sensationell!« Caroline stellte sich vor, wie aufregend es für Joe gewesen sein musste, auf einem Schiff zu fahren, das einen Schatz ans Tageslicht beförderte. »Hast du danach überhaupt noch als Meeresforscher gearbeitet?«
»Ein paar Jahre. Ich war im Scripps Institute in La Jolla und in Woods Hole, im Ozeanographischen Institut. Aber in meiner Freizeit habe ich alles verschlungen, was mir über Schiffswracks in die Hände fiel. Die alten Legenden aus aller Herren Länder, erfolglose Tauchversuche, kurzum alles, was ich dazu fand. Im Urlaub habe ich die Örtlichkeiten abgeklappert, die mir am wahrscheinlichsten erschienen, und sie vermessen. Ich habe eisern gespart und bin dann zum ersten Mal mit einer richtigen Bergungsausrüstung getaucht. Ich hatte Glück und konnte mit dem Verkauf der Fundstücke das nächste Projekt finanzieren.«
»Hast du die Forschungsarbeit ganz aufgegeben?«
Joe schüttelte den Kopf. »Nein. Ich konnte meine Kenntnisse immer gut gebrauchen. In gewisser Weise führe ich heute sogar mehr Forschungsprojekte durch als früher. Aber in freier Mitarbeit. Ich will mein eigener Herr bleiben und nicht an eine Forschungsinstitution gebunden sein.«
»Und jetzt forschst du nach dem Schatz der
Cambria.«
Caroline betrachtete gedankenverloren das dunkle Wasser.
»Ich habe sie nie vergessen können, trotz all der Jahre, die
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