Wo Träume im Wind verwehen
seither vergangen sind, und ganz gleich, in welchem Ozean ich mich auch befand. Ich dachte oft an die
Cambria,
die in den Gewässern vor Neuengland lag, und wusste, dass ich irgendwann hierher kommen musste.«
»Und, entspricht sie deinen Erwartungen?«
»Ja.« Joe starrte aufs Meer, als wollte er seine unergründliche Tiefe mit Blicken durchdringen.
»Es ist gut, dass du hier bist«, hörte sich Caroline zu ihrer eigenen Verwunderung sagen. »Besser du als ein anderer. Ich finde es richtig … ich meine, dass
du
nach dem Schatz der
Cambria
tauchst. Es überrascht mich allerdings, dass vor dir noch kein anderer auf die Idee gekommen ist.«
»Es gab schon einige Versuche. Aber sie befindet sich an einer Stelle, die ihre Tücken hat. Man braucht … nun, eine gewisse Erfahrung, um an sie heranzukommen, ohne dabei Kopf und Kragen zu riskieren.«
»Hast du nicht behauptet, dass du etwas von deinem Metier verstehst?« Caroline lachte und trank einen Schluck Wein.
»Das ist nicht der springende Punkt«, erwiderte Joe. »Wichtig ist vielmehr eine erstklassige Crew und ein gutes Schiff. Und nicht zu vergessen das nötige Kleingeld, um die Bergungsaktion richtig aufzuziehen.«
»Und nun hast du auch noch Clarissas Tagebuch.«
»Es ist nicht so einfach zu tauchen, wenn man das Tagebuch gelesen hat. Man fühlt sich unwillkürlich in das Leben der Menschen einbezogen, die in Zusammenhang mit dem Wrack stehen.«
»Ist das für dich ein Problem?«
Joe dachte einen Moment nach und betrachtete die Sterne über dem Horizont. »Ja«, sagte er. »Ich finde es beunruhigend. Aber trotzdem möchte ich mehr darüber erfahren.«
»Warum beunruhigend?«
»Es ist schwer, neutral zu bleiben. Ich bin bei meinen Bergungsprojekten schon früher auf menschliche Überreste gestoßen, aber …«
»Aber was?«
»Das waren für mich nur Skelette, anonym, ohne Namen. Durch das Tagebuch wird die ganze Aktion persönlicher. Und ich rede nicht von den Parallelen, die du in deinem Begleitbrief erwähnt hast.«
Caroline hätte sich gerne über ihre gemeinsame Geschichte unterhalten, Joes und ihre, aber sie wusste nicht recht, wie sie die Sprache darauf bringen sollte. Einzelne Worte gingen ihr durch den Kopf, Bindeglieder zwischen der Vergangenheit, in der sie die Briefe geschrieben hatte, und der Gegenwart. Wie hatten sie Zeit und Raum überbrückt? Der Wind frischte auf. Carolines Finger am Glas waren eisig, Wangen und Stirn prickelten vor Kälte. Joe sah, dass sie zitterte.
»Komm, lass uns hineingehen.«
»Mir gefällt es aber hier draußen«, entgegnete sie und sah sich um. Der Wind wehte ihr ins Gesicht. Er peitschte ihr die langen dunklen Haare in die Augen, und sie strich sie zur Seite. Es gab da etwas, das sie ihm sagen musste.
»Genauso habe ich es mir immer vorgestellt«, unterbrach er ihre Überlegungen. »Du unter freiem Himmel. Energiegeladen und lebendig, den Elementen trotzend. Wie bei euren Ausflügen ins Gebirge.«
»Ich bin eben ein naturverbundener Mensch«, sagte sie verlegen.
Er lachte und öffnete eine Tür. Sie durchquerten das Ruderhaus. Caroline spürte, dass er dicht hinter ihr war. Er nahm nicht ihren Arm, um sie sicher durch den Gang zu geleiten, aber berührte ihn beinahe. Die Luft zwischen ihnen schien elektrisch aufgeladen zu sein, und die Haut an ihrem Handgelenk prickelte.
Sie folgte ihm durch den Niedergang; es war, als beträte sie ein anderes Schiff. Der Hochtechnologieglanz und Glamour, der oben vorherrschte, machte im unteren Teil des Schiffs einer anheimelnden Wärme und Eleganz Platz, die einer längst vergangenen Welt angehörten. Der große Salon war ganz in Teak gehalten. Das polierte Holz schimmerte im sanften Schein der Messinglampen. Bücherschränke mit alten Schriften und Navigationstabellen füllten eine Wand aus. Über den Sitzbänken hingen gerahmte Zeichnungen von Segelschiffen. Das Mobiliar war eingebaut und mit Kardangelenken versehen, dem Leben auf dem Meer angepasst. Die Sitzbänke waren mit moosgrünem Segeltuch bespannt, und auf ihnen lagen Kelim-Kissen. Barometer, Windmesser und die Beschläge rund um die Bullaugen waren aus Messing, auf Hochglanz poliert. In einer Ecke des Salons befand sich ein kleiner, von Delfter Kacheln umgebener Keramikofen, in dem bereits ein Feuer prasselte.
»So sah sie früher aus«, sagte er. Er reichte ihr eine kleine Skizze. Sie zeigte eine prachtvolle Schonerbark, einen Dreimaster mit querschiffs angebrachtem Rahsegel, der mittlere und hintere
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