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Wo Träume im Wind verwehen

Wo Träume im Wind verwehen

Titel: Wo Träume im Wind verwehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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Schwester?«
    Caroline nickte. Sie wischte die Tränen mit dem Handrücken fort. Als Skye in der Klinik lag, hatte sie gedacht, dort sei sie in Sicherheit und alles würde gut. Vielleicht war sie bereit, Hilfe anzunehmen, vielleicht gab es noch Hoffnung. Aber dann war Simon zurückgekehrt, und sie hatte das Krankenhaus auf eigene Verantwortung verlassen und wieder mit dem Trinken angefangen.
    »Ich weiß, wie das ist«, sagte Sam. »Ich habe jahrelang mit ansehen müssen, wie sich mein Bruder beinahe umgebracht hat.«
    »Joe?«
    »Ja. Ich sollte Ihnen das vermutlich nicht erzählen, aber er hatte früher ein Alkoholproblem.«
    »Er hat es mir gesagt.«
    »Es ging ihm sehr schlecht. Er trank, um sich besser zu fühlen, aber damit wurde alles nur noch schlimmer. Ich kriegte ihn damals nicht oft zu Gesicht, aber manchmal … Weihnachten kam er meistens nach Hause, und einmal, während der Sommerferien, hat er mich nach Maine zum Segeln mitgenommen …« Sams Augen waren umwölkt bei der Erinnerung. »Er hatte zwei Gesichter, wie Dr. Jekyll und Mister Hyde – in der einen Minute der beste Bruder der Welt, in der anderen völlig durchgeknallt. In der Zeit hat er oft von Ihnen geredet. Wenn er betrunken war.«
    »Oh.« Caroline fragte sich, was das zu bedeuten hatte.
    »Dann hat er sich aufgeführt wie ein Verrückter, stand völlig neben sich, wusste nicht, was er wollte oder wie er sich Hilfe verschaffen sollte.«
    »Sie sind damals noch sehr jung gewesen.« Caroline wischte sich über die Augen und bemitleidete den kleinen Jungen, der die Selbstzerstörung seines älteren Bruders mit ansehen musste. Sie spürte, wie ihr die Tränen über die Wangen liefen.
    »Ja. Das ging mir an die Nieren.«
    »Joe hat schlimme Zeiten durchgemacht«, sagte Caroline langsam und dachte an ihre Unterhaltung auf der
Meteor.
»Ich nehme an, dass sie Ihnen erspart geblieben sind. Aber …« Sie wählte ihre Worte sorgfältig. »Warum Skye und nicht ich? Unsere Kindheit verlief ähnlich. Wir haben beide die gleichen Erfahrungen gemacht. Oder beinahe.«
    »Vielleicht liegt es an dem ›beinahe‹.«
    Caroline hatte nie gewusst, wie man um Hilfe bittet. In schlimmen Situationen war immer sie diejenige gewesen, die andere stützte. Das war gut so, und sie hätte es nicht anders gewollt, aber im Augenblick war ihr, als hätte sie den Boden unter den Füßen verloren.
    »Wer weiß?«, fuhr Sam fort. »Ich weiß nur eines: Alkoholiker müssen von sich aus aufhören. Das können wir ihnen nicht abnehmen.«
    »Alles in Ordnung?«
    Beim Klang von Joes Stimme reichte Sam Caroline sein Taschentuch. Sie putzte sich die Nase. Das Geräusch war so laut, dass die Enten auf dem Fluss in Panik gerieten. Sie suchten ihr Heil in der Flucht und erhoben sich in die Lüfte, während die Füße mit den Schwimmhäuten zwischen den Zehen hektisch das Wasser durchpflügten.
    »Alles in Ordnung.« Sams Stimme klang merkwürdig stolz, als wäre er zu Carolines Leibwächter ernannt worden und würde Joe Bericht erstatten.
    »Wirklich? Bist du sicher?«
    »Ganz sicher«, erwiderte Caroline.
    »Du machst dir Sorgen um deine Schwester«, sagte Joe. Es war eine Feststellung, keine Frage.
    »Ja.«
    Joe nickte. Gedämpftes Licht fiel durch das Geäst der Bäume. Die Enten hatten eine Runde gedreht und setzten wieder zur Landung an. Ihre Silhouetten zeichneten sich gegen den Mond ab. Auf der anderen Seite des Flusses schrie ein Ziegenmelker.
    »Es wäre besser, wenn sie beschließen würde, künftig anderswo zu trinken«, sagte Sam hilfsbereit.
    Caroline nickte, sich hundeelend fühlend. Sie wäre gerne in den Gasthof zurückgegangen, doch ihr bangte vor Skyes Anblick. Sie verspürte Angst, Wut und Hoffnungslosigkeit. Sam machte einen Schritt in Richtung Gasthof. Joe und Caroline standen sich gegenüber. Die Zweige der Bäume verdeckten den Mond, doch sein Gesicht wirkte betroffen im Halbdunkel.
    »Was ist denn das?«, fragte Sam und deutete auf die japanischen Lampions.
    Eine ganze Kette war erleuchtet. Sie reichte von der Veranda auf der rückwärtigen Seite des Gebäudes bis zur Scheune. Die Lampions hingen unbeweglich da, als hätten sie sich in den Bäumen verfangen, und sprenkelten den windstillen Abend mit pflaumenblauen, bernsteinfarbenen, türkisfarbenen und scharlachroten Tupfen.
    »Lampions für den Firefly Ball«, antwortete Caroline.
    »Ein Ball?«
    »Nur ein kleines Fest.« Caroline schluckte. Joe sah sie an, und sie konnte den Blick nicht von ihm lösen.

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