Wo Träume im Wind verwehen
waren eingesunken und verliehen ihm das Aussehen eines Waschbären, der ein ausschweifendes Leben führte. Dass er sich einzubilden wagt, er gehöre als Maler der gleichen Liga wie Hugh an, ist eine tragische Fehleinschätzung, dachte Augusta. Sie ertrug seine Anwesenheit nur, weil sie Skyes Liebe zu ihm verstand, die sich nicht erklären und erst recht nicht unterdrücken ließ.
»Bin schon unterwegs«, erwiderte Simon mit düsterer Miene.
»Simon hat Recht«, sagte Augusta und drückte Skyes Hand, während das Gefühl einer an Panik grenzenden Angst in ihr aufstieg. »Es wird dir viel besser gehen, wenn du wieder in deinem Atelier arbeitest.«
»Ach Mom«, flüsterte Skye.
Nichts weckte in Augusta ein größeres Gefühl der Ohnmacht als der vergebliche Versuch, sich einer ihrer Töchter verständlich zu machen.
»Ich will keine Alkoholikerin sein«, sagte Skye. Tränen liefen ihr übers Gesicht.
»Du bist keine.«
»Ich hasse dieses Wort.«
»Ich auch.«
»Ich werde weniger trinken; ich weiß, dass mir keine andere Wahl bleibt. Ich schaffe es doch, oder?«
»Natürlich, Liebes. Ich werde dir dabei helfen. Wir werden nur ein einziges Glas trinken, nicht mehr. Einverstanden?«
Skye nickte. Aber die Tränen flossen weiter.
Simon kehrte mit einem silbernen Tablett zurück, auf dem alles stand, was man für einen trockenen Martini brauchte. Er hatte sogar daran gedacht, ein Schälchen mit gemischten Nüssen zum Knabbern mitzubringen. Und nicht zu vergessen den silbernen Shaker, dem der Geruch nach Gin und Wermut anhaftete, und drei kleine Oliven. Skyes Augen waren ausdruckslos, als sie zusah, wie er die Martinis in die eisgekühlten Gläser füllte. In diesem Moment kam Augusta der kristallklare Gedanke: Skye sollte nicht trinken. Keinen einzigen Tropfen.
Augusta war verzweifelt. Sie hatte Angst, wusste nicht, wie sie der Sache einen Riegel vorschieben sollte, die durch ihr Verhalten ausgelöst worden war. Caroline würde am Boden zerstört sein, wenn sie davon erfuhr.
Sie hoben die Gläser und streckten die Arme aus, um miteinander anzustoßen.
»Auf Skye!«, sagte Augusta. »Und darauf, dass sie wieder zu Hause ist, wo sie hingehört.«
Caroline saß alleine auf ihrer Veranda an der Rückseite des Hauses. In ein Schultertuch gewickelt, wippte sie langsam im Schaukelstuhl hin und her und dachte an den vergangenen Abend. Sie war mit Joe und Sam am Flussufer spazieren gegangen, während sich Skye in der Bar betrank. Sam und Joe hatten ihr versichert, dass sie nicht das Geringste dagegen tun könne. Das es allein Skyes Sache sei.
Eine kleine Öllampe brannte auf dem Tisch neben ihr. Die Nacht war dunkel und schwül, und die Künstler verhielten sich ruhig. Ein Hund bellte in der Ferne; der Schrei der Nachtvögel drang über die Marsch und weckte unangenehme Erinnerungen, die lange, lange zurücklagen.
Sie dachte an Joe. Gestern Abend war er bei ihr gewesen. Hier unten, am Fluss. Er hatte ihre Hand gehalten. Wortlos, schweigend hatten sie es beide zur Kenntnis genommen. Sam schien nichts bemerkt zu haben, und als sie in den Gasthof zurückgekehrt waren, hatte Joe ihre Hand losgelassen und war einen Schritt beiseite getreten. Doch während des Spaziergangs durch das Schilf hatte er ihr mit dieser Geste Trost geboten. Und den nahm Caroline von fast niemandem an.
Nicht zu fassen, dachte sie. Sie stemmte ihre Füße auf den Boden und schaukelte hin und her, wie ein Boot auf den Wellen. Sie saß auf ihrer Veranda, hatte sich nicht aus dem Staub gemacht. Nicht zu fassen. Das sah ihr überhaupt nicht ähnlich. Sie schlug den Aktenordner auf, der neben ihr lag, und nahm Clarissa Randalls Tagebuch heraus.
Während Joe meilenweit entfernt auf See war und das Schiffswrack ausgrub, das Elisabeth Randalls sterbliche Überreste enthielt, saß Caroline zu Hause, sicher und geborgen, und las die Aufzeichnungen ihrer Tochter. Caroline hatte das unerklärliche Gefühl, das kleine Mädchen beschützen, ihre schmerzvollen Erinnerungen bewahren zu müssen. Kleine Mädchen brauchten jemanden, der sich liebevoll ihrer annahm, wie Caroline seit jeher wusste.
Clarissa hatte eine zierliche Handschrift. Sie bedeckte die Seite wie ein zartes Spinnengewebe. Sie hatte einen Federkiel zum Schreiben benutzt. Caroline erkannte dies auf den ersten Blick, da sie selbst gelegentlich noch einen verwendete. Als kleines Mädchen hatte sie eine Möwenfeder gefunden und sie mit dem X-acto-Messer ihres Vaters, das eine rasiermesserscharfe
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