Wo unsere Träume wohnen
Ich werde alles tun, damit sie am Ende des Jahres nicht nach Hause zurückwill. Nein, sieh mich an, und hör mir zu.“
Ihre Augen wurden groß, als Rudy sich vorbeugte und ihre Hand nahm.
„Falls du es noch nicht begriffen hast, ich unterstütze dich bei allem, was du vorhast. College, Weltreise, was auch immer. Aber verdammt noch mal, Violet … ich brauche dich.“ Zärtlich drückte er ihre Finger. „Und ich rede nicht von … du weißt schon. Für den Gasthof, meine ich.“
„Du … brauchst mich.“
„Du weißt, wie man einen Gasthof betreibt, und hast vermutlich jede Menge Ideen.“ Er ließ ihre Hand los. „Das ist deine Chance, sie umzusetzen. Du brauchst es nur zu sagen, und der Gasthof gehört zur Hälfte dir. Lass uns zusammenarbeiten.“
Rudy konzentrierte sich aufs Essen, damit Violet in Ruhe über alles nachdenken konnte. Genau das tat sie, bis sich aus dem Chaos in ihrem Kopf ein Gefühl formte, das sie lange nicht mehr empfunden hatte – die Vorfreude auf eine neue Herausforderung.
Doris’ Tochter wusste wahrscheinlich nichts von dem Testament. Doris musste es verfasst und einen ihrer letzten Gäste gebeten haben, es zu unterschreiben. Dann hatte sie es auf die Kommode gelegt, und es war irgendwann hinter die Fußbodenleiste gerutscht und in Vergessenheit geraten.
Es machte Violets Leben nicht einfacher. Sie dachte an Stacey. An Mitch, dessen letzter Brief in ihrer Handtasche lag. Und an die Versuchung, die von Tag zu Tag größer wurde.
So schnell gebe ich nicht auf, Violet.
Sie wusste, dass er damit nicht nur den Gasthof meinte. „Na gut“, sagte sie schließlich. „Ich bin dabei.“
Strahlend wischte er sich die Finger ab und streckte die Hand aus. „Schlag ein, Partnerin.“
Violet tat es und hatte das Gefühl, gerade vom Zehn-Meter-Brett gesprungen zu sein.
Ohne schwimmen zu können.
Von der Veranda des Gasthofs sah Rudy Violet nach, als sie davonfuhr, um die unterbrochene Einkaufstour fortzusetzen.
Auf dem Rückweg von Maude’s waren die Vorschläge nur so aus ihr herausgesprudelt. Von der Farbgestaltung der einzelnen Räume über Werbung im Internet und den Beitritt zum Hotelverband bis hin zur Neuanlage des Gartens.
Erst später, als er sie mit einem verträumten Lächeln im Salon stehen sah, ging ihm auf, warum sie so viele konkrete Ideen hatte.
„Seit wann schwebt dir das alles für den Gasthof vor?“, fragte er leise.
Verlegen drehte sie sich um. „Seit ich als kleines Mädchen das erste Mal hier war. Für ein Kind, das in einem winzigen Haus auf der falschen Seite der Stadt wohnte, war das hier ein Schloss.“
Das leichte Zittern in ihrer Stimme entging Rudy nicht. „Als du ein kleines Mädchen warst?“
„Meine Mutter hat hier sieben Jahre lang jede Toilette, jedes Waschbecken und jede Badewanne geputzt und die Bettwäsche gewechselt …“
Ihre Worte gingen ihm noch im Kopf herum, als er das ehemalige Zimmer der alten Lady betrat, in dem sein Bruder arbeitete.
Kevin hob den Kopf. „Und?“
„Wie es aussieht, werden Violet und ich Geschäftspartner.“
„Und … finden wir das gut?“
„Sehr gut sogar. Hat sie dir erzählt, dass ihre Mutter hier mal Zimmermädchen war?“
„Was? Nein.“ Kevin wischte sich den Schweiß aus den Augen. „Das erklärt einiges, nicht wahr?“
„Allerdings.“
Sein Bruder löste eine Bahn vergilbter Rosentapete von der Wand. „Ich kann verstehen, dass du ihr gegenüber ein weiches Herz hast, aber …“
„Ich weiß, Kev.“ Rudy setzte sich auf das mit einer Plane zugedeckte Bett. „Glaub mir, ich weiß. Das hier ist rein geschäftlich.“
„Wenn du meinst.“ Vor dem Haus hielt ein Wagen, und Kevin schaute aus dem Fenster. „Betsy bringt Julian zurück. Und zwei von ihren Eigenen.“ Er schmunzelte. „Mach die Luken dicht.“
Als Rudy die Haustür öffnete, drängten Julian und der dreijährige Jarred sich an ihm vorbei.
„Jarred!“, rief Betsy. „Komm sofort her! Wir bleiben nicht!“ Erst jetzt sah sie Rudy an. „Ist Vi noch nicht zurück?“
„Nein.“ Er drehte sich zu Julian und Jarred um. „Hey, Jungs, warum spielt ihr nicht im Garten? Ich muss mit Jarreds Mom reden.“ Jubelnd rannten die beiden nach hinten. „Lass uns in die Küche gehen, dann können wir sie im Auge behalten.“
Betsy folgte ihm, setzte ihr Baby auf den Fußboden und schaute sich neugierig um. „Das sieht ja aus wie aus einer Wohnzeitschrift!“
Rudy lächelte stolz. „Möchtest du etwas trinken?“
„Nein,
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