Wo unsere Träume wohnen
stören. Fleckige Teppiche auf dem Zementboden, an zwei Wänden Kunststofftäfelung im Pinienholzlook, zwei winzige, fast völlig zugewachsene Fenster unter der Decke, durch die weder Licht noch Luft drang. Eine alte Schlafcouch, auf der sie zu dritt übernachteten.
Sicher, Joey hatte ein wenig gemurrt, als Betsy Violet anbot, sie und die Kinder aufzunehmen, aber er war ein guter Mann, und manchmal fuhr er mit Violets zwei und seinen eigenen drei zu McDonald’s, damit die Frauen sich erholen konnten.
So war Mitch auch mal gewesen. Vor langer, langer Zeit.
Violet ignorierte das aufkeimende Selbstmitleid, brachte beide Jungen zu Bett und wehrte sich gegen die Tränen. Manchmal träumte sie davon, die Uhr zurückzudrehen, bis zu der kurzen Periode ihres Lebens, in der sie gewusst hatte, dass sie geliebt wurde.
Oder es wenigstens geglaubt hatte.
Oben gingen Betsys Söhne mal wieder lautstark aufeinander los. Joey legte eine Doppelschicht in der nahe gelegenen Maschinenfabrik ein und würde nicht vor Mitternacht nach Hause kommen. Violets Kinder dagegen schliefen schon fast, als sie das Licht ausmachte. Gott sei Dank, dachte sie und warf einen Blick zur vibrierenden Decke hinauf. Um Him mels willen, Betsy, bring deine Rabauken endlich ins Bett!
Über ihr ertönte ein Krachen, Betsy begann zu schreien, und jemand weinte.
Das reicht, ich verschwinde von hier. Violet zog ihren alten Daunenmantel über den Jogginganzug und setzte den Spongebob-Hut auf, den sie George zu Weihnachten geschenkt hatte. Natürlich konnte sie nicht einfach ausziehen, aber in der Eiseskälte draußen herumzustehen, war immer noch besser, als zwei Stunden lang mit den Zähnen zu knirschen, bis den beiden kleinen Teufeln ihrer Freundin vor Erschöpfung die Augen zufielen.
„CSI hat angefangen!“, rief Betsy aus dem winzigen Wohnzimmer, als Violet zur Tür eilte. Normalerweise ließ sie sich keine Folge entgehen, aber heute fühlte sie sich alles andere als normal.
„Danke, aber ich brauche dringend frische Luft“, erwiderte sie und riss die Tür auf.
„Willst du deine Kinder etwa bei mir lassen?“, übertönte Betsy das Gekreische ihres Jüngsten.
„Natürlich nicht, Bets, ich gehe nur kurz in den Garten.“
„Hast du den Brief bekommen?“
Violet drehte sich um, nahm den schlichten weißen Umschlag mit Mitchs Handschrift vom Tisch und schob ihn in die Tasche. „Ja.“
Sie schloss die Haustür hinter sich und atmete tief durch. Draußen war es kalt, und sie genoss die frische Luft auf ihrem Gesicht und die Ruhe, die nicht nur ihren lädierten Trommelfellen, sondern auch ihrer Seele guttat. Nach kurzem Zögern holte Violet den Brief heraus. Wie alle bisherigen, enthielt auch dieser die übliche Mischung aus Entschuldigungen, vagen Versprechungen und der Bitte um Verzeihung.
Violet zerknüllte ihn und fühlte die scharfen Kanten an den Lippen, als sie ihn an den Mund presste, um nicht laut aufzuschluchzen. Nach der Scheidung hatte die Wunde in ihrem Herzen gerade zu heilen begonnen, da war der erste Brief gekommen – abgeschickt von einem Postfach in Buffalo. Anfänglich nur mit der monatlichen Zahlungsanweisung für die Jungen. Dann alle zwei Wochen, jetzt fast wöchentlich, auch wenn Mitch nie anrief, nicht einmal, um mit seinen Söhnen zu sprechen. In jedem Brief schwor er, dass er seine Söhne liebte. Und sie auch.
Am schwersten fiel es ihr, seine Briefe zu erwidern. Was schrieb man einem Mann, der einen vor einer Hölle auf Erden bewahrt hatte, nur um einem zehn Jahre später eine andere zu bereiten? Auf dem Tiefpunkt ihres Lebens war ihr Mitch als rettender Engel erschienen. Aber Engel stiegen nicht einfach aus, wenn es hart wurde, die Kinder krank wurden und die ganze Nacht hindurch weinten oder ein halbes Dutzend Dinge gleichzeitig kaputtgingen und repariert werden mussten.
Ich weiß, dass ich Mist gebaut habe, Vi. Und ich mache es wieder gut …
„Mach dich nicht lächerlich“, murmelte Violet und stopfte den Brief wieder in die Manteltasche. Sie brauchte keine Engel mehr, weder aus der Vergangenheit noch aus der Gegenwart, sie brauchte einen Plan. Fröstelnd setzte sie sich auf eine Stufe, blies in die Handschuhe und wärmte sich das Gesicht.
Nur mit Mühe wahrte sie die Fassung, denn ihre Lage war verzweifelt. Sie hatte ihren Job verloren und brauchte einen neuen, denn das bisschen Geld, das Mitch unregelmäßig schickte, reichte nicht mal für die Jungen. Es gab eine Lösung – doch die war so erniedrigend,
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