Wo unsere Träume wohnen
wirklich wichtig, wer zuerst auf die Idee gekommen war? Das fragte Violet sich, während sie in Rudys warmem Wagen saß, die Wolldecke von der Rückbank um die Beine, den Duft des großen, kräftigen Mannes ebenso in der Nase wie das süße, würzige Aroma der heißen Schokolade, an der sie nippte. Nein, entschied sie. Hauptsache, alles lief so, wie sie es sich vorgestellt hatte.
Nicht, dass der Gasthof tatsächlich ihrer gewesen war. Nur im Herzen hatte sie sich schon als Eigentümerin gefühlt. Jetzt presste sie die Lippen zusammen und starrte in ihr Getränk. „Sie wollen also, dass die Jungen und ich bei Ihnen einziehen …“
„Na ja, in die Wohnung über der Garage, wenn es Ihnen recht ist.“
Violet versuchte, sich die Aufregung nicht anmerken zu lassen. Sie selbst hatte Doris überredet, das Apartment für Familien, die kein Zimmer, sondern eine Ferienwohnung wollten, zu renovieren. Es war nicht groß, hatte nur ein Schlafzimmer, aber im Sommer spendeten ein Dutzend Bäume Schatten. Und die Schlafcouch roch nicht nach benutzten Sportsocken.
Ein Traum, den sie schon zwei Mal aufgegeben hatte, meldete sich zurück …
Hör auf, befahl Violet sich.
„Und als Gegenleistung soll ich Ihnen helfen, den Gasthof wieder in Betrieb zu nehmen“, fuhr sie fort, ohne Rudy anzusehen.
„Und danach das Frühstück für die Gäste machen, wie Sie es bei Doris getan haben.“ Sie spürte seinen Blick an der Schläfe. Warm und ernst. Noch ein Mann, der sie unbedingt retten wollte. „Zu Anfang kann ich Ihnen nicht viel zahlen, aber wenigstens hätten Sie Kost und Logis.“ Er zögerte. „Falls Sie einen Nebenjob annehmen und die Jungen zu Hause lassen wollen … Ich nehme an, auch dafür finden wir eine Lösung.“
Violet drehte sich zu ihm. „Wow! Das ist großzügig.“
„Kein bisschen. Sie würden mir einen riesigen Gefallen tun. Irgendwann müsste ich sowieso jemanden einstellen. Jemand, der sich auskennt, ist doch ideal.“
Sie nippte am Becher und tat so, als ob sie über sein Angebot nachdachte. Er schien ihr Zögern als Verbitterung zu deuten. Kein Wunder.
„Violet“, begann er in seiner halb rauen, halb sanften Art, die ihr unter die Haut ging. Sie musste aufpassen. Zwei Jahre ohne die Berührung eines Mannes waren eine lange Zeit, und eine Nonne hatte sie nie werden wollen. Aber genau deshalb hatte sie noch nicht begeistert zugestimmt. Denn Rudy Vaccaros Nähe …
Eine Komplikation, die sie ungefähr so dringend brauchte wie ein Loch in der Herzwand.
„Ich weiß, das hier ist nicht das, was Sie sich erhofft haben“, sagte er. „Aber ich kann nicht ungeschehen machen, was passiert ist. Oder Ihnen den Gasthof überlassen, nur weil …“
„Natürlich nicht! Sicher, ich bin enttäuscht, aber ich mache mir keine Illusionen.“ Sie wusste, dass er das Haus ohne Besichtigung und Rücktrittsrecht gekauft hatte, was verdammt leichtsinnig gewesen war. „Er gehört Ihnen. Ich meine, wenn es kein Testament gab, gab es eben keines, richtig?“
Wieder sah er sie an, halb besorgt, halb beschützend. Lass es, dachte sie, denn ihr Körper, ihre Gefühle und ihr Verstand standen auf drei verschiedenen Blättern, was nicht gut war.
„Doris hat also versprochen, Ihnen das Haus zu vererben?“
Violet nickte. „Einen Monat vor ihrem Tod hat sie geschworen, ein Testament zu machen, damit es keine Zweifel gibt. Ich kannte Doris, seit ich klein war, habe als Teenager im Sommer dort gearbeitet. Ich hätte …“ Ihre Stimme versagte. „Sie hat niemals ein Versprechen gebrochen.“
Andererseits war ihr Leben eine einzige Ansammlung von nicht gehaltenen Versprechen.
„Und Sie haben keine Gelegenheit bekommen, das Haus zu durchsuchen?“
Sie schaute direkt in seine dunklen Augen. „Du meine Güte, was ist bloß los mit Ihnen? Das Testament zu finden, muss doch das Letzte sein, was Sie wollen.“
„Vielleicht will ich nur sicher sein, dass ich mir keine Sorgen machen muss.“
Nach einem Moment wandte sie sich ab. „Kurz vor Doris’ Tod kam ihre Tochter Patty aus Boston und verfrachtete das alte Mädchen in ein Pflegeheim. Und kaum war Doris aus dem Haus, waren die Jungen und ich es auch. Eine Woche später wurde es zum Verkauf angeboten. Ich nehme an, Patty hat sich eine Vollmacht besorgt.“
„Als die alte Lady starb, ging also alles an ihre Tochter?“
„Genau. Und natürlich hat sie mich nicht nach dem Testament suchen lassen.“
„Falls es eines gibt.“
Violet zögerte, dann hob sie den
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