Wo Warst Du - Ein Septembertag in New York
einfach seinen Atem hören. Aber Alex ist nicht alleine im Raum. Ich höre Stimmen im Hintergrund. Das wird kein langes Gespräch. Sein Kollege ist da, und in Anwesenheit von Kollegen ist Alex ein anderer Mensch, kühler und verhaltener. Wenn wir in Berlin Hand in Hand einem seiner Kollegen auf der Straße begegnen, lässt er schlagartig los und beschleunigt seinen Schritt. Auf Empfängen steht er neben mir, als wären wir uns nie zuvor begegnet. Es gibt ein Foto von unserer Hochzeit, auf dem Alex seine Hand mit seinem Hochzeitsring, den ich ihm gerade angesteckt habe, in die Kamera hält und mit der anderen Hand wischt er sich über die Augen, als würde er weinen. Ich stehe daneben und lache.
Ich lache meine Zweifel weg, meine Unsicherheit. Früher habe ich Gläser zerschmissen. Inzwischen bin ich immer mehr wie Alex' Eltern, die sich auf seinen Lesungen in die letzte Reihe setzen und sich anschließend unauffällig zurückziehen. Für Alex gibt es nichts Schöneres, als in ihr kleines Sommerhaus in Brandenburg zu fahren, auf der Hollywoodschaukel zu sitzen, über die Gartennachbarn zu reden, Würste zu grillen und auf dem Motorradrücksitz seines Schwagers Bier von der Tankstelle zu holen. Aber vor Menschen, mit denen er zusammenarbeitet, fühlt er sich beobachtet, verletzlich, angreifbar.
Das Schöne in New York ist, dass das hier alles keine Rolle spielt. Es besteht nicht im Geringsten die Gefahr, jemanden auf der Straße zu treffen, der irgendwas mit der Arbeit zu tun hat. Es gibt nur Tim und Tom von Gegenüber, Mike und Roxy, Barbara mit ihrem großen weißen Hund, die schöne Tinna und die seltsame Phyllis Chesler.
Alex kann aus dem Bett Telefonate mit Hamburg führen. Der Spiegel wird in weiten Teilen Amerikas für einen Verkaufskatalog gehalten, so was wie der Otto-Versand. Wenn ab und zu ein Kollege von Alex aus Berlin zu Besuch kommt, sitzen wir stundenlang am Küchentisch oder auf der Terrasse, reden über New York, zeigen unser Viertel, gehen mit den Kindern durch den Park, auf den Markt am Grand Army Plaza, schlendern die 7 th Avenue entlang, und alle, die uns hier erleben, sagen, so glücklich hätten sie uns noch nie gesehen.
In diesem Moment aber, als wir telefonieren, ist die Distanz wieder da, sein Unbehagen, Persönliches und Dienstliches so dicht beieinander zu haben.
»Ich muss jetzt aufhören. Wir müssen hier noch was besprechen. Ich bin ja bald zu Hause. Dann erzähle ich dir alles. Ja?«
Ich versuche noch, ihn zu halten, sage, dass ich Ferdinand mittags aus der Schule abgeholt habe, dass Mascha bei Elise spielt und Liz uns zu Drinks eingeladen hat. Aber Alex ist nicht mehr bei mir. Ich verliere ihn wieder.
D
ie Bärte in Afghanistan, die Experten im Studio, die
Anchormen
auf den Dächern, der Rauch im Hintergrund, die besorgten Gesichter, Sirenen, die Trümmer. Irgendwann kommt die Chefredaktion zu uns durch. Keine Ahnung, wie sie das machen. Den ganzen Tag über bekomme ich keine einzige Verbindung nach Deutschland, nicht zu meinen Eltern, nicht zu meinem großen Sohn, nicht zu meinen Freunden, aber die Chefredaktion des
Spiegel
kommt durch. Der Chefredakteur und sein Stellvertreter sind am Telefon. Thomas erzählt ihnen, was hier los ist. Er sagt, dass ich von oben bis unten mit Staub bedeckt war, als ich hier ankam. »Der Osang hockte im Keller.« Es gibt keine Konkurrenz mehr zwischen uns, es ist unsere gemeinsame Geschichte. Die sind dort, und wir sind hier. Das ist jetzt das Prinzip. »Wir fühlen uns hier nicht mehr sicher«, sagt Thomas. »Wir müssen irgendwohin mit den Kindern, weg aus New York.« Dann gibt er mir das Telefon. Ich höre die Stimmen der beiden Chefredakteure gleichzeitig. Machen Sie sich mal keine Sorgen, sagen die Stimmen. Das geht nicht so weiter. Das wird jetzt kein Krieg. Das ist vorbei.
Ich stelle mir vor, wie sie in einem der beiden Chefbüros in der zwölften Etage des
Spiegel
-Hochhauses sitzen, hinter ihnen die Speicherstadt, Wasser, der Abendhimmel in Hamburg. Sie fragen, was ich denn da im Keller gemacht habe. Ich erzähle die Geschichte.
»Wunderbar!«, ruft der Chefredakteur. »Schreiben Sie das alles auf.«
»Wir ziehen das Heft vor«, sagt sein Stellvertreter.
»Nehmen Sie sich so viel Platz, wie Sie brauchen«, sagt der Chefredakteur.
Es ist natürlich aberwitzig und ich verstehe das auch so, bin aber trotzdem stolz jetzt. Ich habe den beiden Männern vor zwei Jahren in einer winzigen Hamburger Kneipe gegenübergesessen. Es
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