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Wo Warst Du - Ein Septembertag in New York

Wo Warst Du - Ein Septembertag in New York

Titel: Wo Warst Du - Ein Septembertag in New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anja Reich
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roch nach Zigarettenqualm und nach Bratwürsten, und wir sprachen über einen Reportervertrag für Amerika. Es war alles ziemlich kompliziert. Ursprünglich wollte ich für den
Stern
nach New York gehen, aber dann bot mir das auch der
Spiegel
an. Sie gründeten ein neues Magazin, das
Spiegel-Reporter
heißen würde. Es sollte, wie fast alle deutschen Magazinneugründungen, eine Mischung aus
New Yorker
und
Vanity Fair
werden. Reportagen, Kurzgeschichten, Kolumnen, Cartoons, Interviews. Es sollte von einem Mann geleitet werden, dem ich vertraute und der fast all die Kollegen dort versammeln wollte, die ich gern las. Besser ging's eigentlich nicht. Allerdings hatte ich beim
Stern
bereits unterschrieben. All die Jahre hatte ich auf ein Angebot für New York gewartet und jetzt bekam ich gleich zwei auf einmal. Wir saßen also ziemlich konspirativ in der Bratwurstkneipe.
    Irgendwann fragte mich der Chefredakteur: »Kennen Sie sich denn so ein bisschen in Amerika aus? Können Sie überhaupt Englisch?«
    Ich habe ihm von meinem Studienaufenthalt in North Carolina erzählt, von den vielen Reisen, die ich bis dahin schon durch Amerika gemacht hatte, von einem Crashkurs auf der
Berlitz School
und auch von meinem siebenjährigen Englischunterricht in der DDR. Ich habe nichts von meinem Traumland Amerika erzählt, das ich mir als Kind zusammengereimt habe, dem Land von Huckleberry Finn, Harry Angstrom, Holden Caulfield, John Yossarian, Dean Moriarty und Philip Marlowe. Ich erzählte nicht, wie sehr ich dieses Land liebe, ich sagte nicht, dass meine erste Westreise nach dem Mauerfall nach Amerika ging und meine Hochzeitsreise auch. Ich wollte nicht naiv wirken und nicht zu
desperate
, nicht wie ein Risiko, sondern so berechenbar und kaltblütig, wie ich mir einen
Spiegel
-Reporter vorstellte. Ich habe oft an die Frage gedacht, die mir mein Chefredakteur in der Bratwurstkneipe stellte. Können Sie überhaupt Englisch? Für ihn war ich ein Ostler, der nach New York wollte. Er war dabei, die Katze im Sack zu kaufen. Er wollte mich haben, weil ihm gesagt worden war, ich sei ein interessanter Mann. Und sicher wollte er mich haben, weil der
Stern
mich haben wollte. Meine erste amerikanische Geschichte für den
Spiegel
war ein Porträt über Joschka Fischer als Läufer beim New York Marathon. Danach hat mich der Chefredakteur in unserem Büro in Manhattan angerufen und gesagt:»Allein dafür hat es sich gelohnt, Sie einzustellen.« Ich hatte den Eindruck, dass er das mehr zu sich sagte als zu mir.
    Das ist jetzt vorbei, denke ich. Ich erzähle ihm meine Geschichte. Der Chefredakteur hängt an meinen Lippen. Ich habe es über den Fluss geschafft. Ich bin eine gute Investition. Ich kann Englisch.
    Ich lege auf, ich sehe fern, ich rede mit Thomas über die Geschichten, die wir schreiben werden, ich sitze auf dem Sofa. Ich habe jede Vorstellung von der Zeit verloren, aber es ist immer noch hell. Irgendwann findet Kristin im Internet heraus, dass die Subways wieder fahren. Ich kann jetzt gehen.
    Ich umarme Kristin zum Abschied und schließlich auch Thomas. An diesem Nachmittag holt er mich zurück in diese Welt, und das vergesse ich ihm nie. Er ist jetzt mein Freund. Ich laufe in seinen Jeans zurück in die Stadt.
     
     
     
    I ch versuche, in Berlin anzurufen. Ich komme nicht durch. Nicht bei meiner Mutter, nicht bei meiner Schwester, nicht bei Alex' Eltern. Die Leitungen nach Europa seien gestört, sagen sie im Fernsehen. Nur meine Freundin Ariane aus Berlin schafft es irgendwie, nach Brooklyn durchzukommen.
    Sie ist überrascht, meine Stimme zu hören, und fragt vorsichtig, wie es mir geht.
    »Gut«, sage ich.
    »Gut?«, fragt sie.
    »Ja, ganz gut«, sage ich und gebe ihr einen kurzen Abriss meines Tages.
    »Wir haben seit dem Nachmittag den Fernseher an und sind hier alle total hysterisch und du bist so ruhig.«
    »Du weißt doch, wie es ist«, sage ich. »Ich bin mit den Kindern zu Hause. Mascha versteht überhaupt nicht, was los ist.«
    »Und Ferdi?«, fragt sie.
    »Ferdi denkt, dass er Schuld hat, weil er gespielt hat, wie Flugzeuge in seine Lego-Türme fliegen.«
    »Oh Gott, der Arme«, sagt Ariane. Sie mag Ferdinand. Der Sohn ihrer Schwester ist im gleichen Alter wie er. Als Ariane in New York war, hat sie mit Ferdinand im Garten Fußball gespielt, ist mit ihm am Strand von Coney Island auf Felsen geklettert und hat ihm das Frisbeespielen beigebracht. Ariane ist die coole Freundin unserer Familie, eine, mit der man Pferde stehlen

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