Wo Warst Du - Ein Septembertag in New York
gesagt?«, frage ich ungläubig.
»Amerika hat das verdient, sie mischen sich überall ein, und jetzt kriegen sie die Rechnung«, sagt Liz. »Das geschieht uns ganz recht.«
»Wow«, sage ich und stelle mir Liz vor, oben auf dem Dach, neben ihrem großen, kahlköpfigen Mann und ihrer kleinen, korpulenten Mutter. So ein Statement. Liz hat an ihrem Volvo Pro-Al-Gore- und Anti-Bush-Sticker kleben, aber es überrascht mich immer wieder, wie sich Liz, die überbesorgte Mutter, von einer Minute auf die andere in eine hippiehafte Bürgerrechtlerin verwandeln kann.
Das erste Mal erlebte ich Liz' Verwandlung, als sie und John uns zu einem Grillabend ins Haus ihrer Mutter einluden. Erst gab es Bier, dann Steaks, und mit Einbruch der Dunkelheit wurde ein Joint herumgereicht. Bei der ersten Runde lehnte ich ab, und auch bei der zweiten. Ich war mein Leben lang davon überzeugt, Marihuana sei nur der erste Schritt zum Heroin. Die anderen zogen den Rauch tief ein, seufzten kurz und redeten ganz normal weiter, ich kam mit der blonden Frau neben mir ins Gespräch, von der mir Liz schon erzählt hatte. Ihr Name war Ivy, und sie war die Enkeltochter von Julius und Ethel Rosenberg, die in der McCarthy-Ära auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet wurden. Ich hatte in der Schule etwas über die Rosenbergs gelernt. Sie waren Helden für mich. Ivy sagte, sie habe lange überhaupt nichts gewusst, weil ihr Vater nie darüber sprach. Sie kannte nur das Bild ihrer Großeltern, gemalt von Picasso. Es hing bei ihnen im Wohnzimmer, aber alle paar Monate kam ihr Onkel zu Besuch, nahm das Bild ab und hängte es in seiner Wohnung auf. Die Brüder teilten sich den Picasso. Als Kind habe sie sich gewundert, warum manche Menschen ihr mit so großer Verehrung begegneten, während andere sie regelrecht hassten, sagte Ivy. Sie erzählte von einem Besuch in Kuba, wo ihre Familie herumgereicht wurde – wie Staatsgäste wurden sie behandelt. Und von dem Jungen im Ferienlager, der ihr eine Kelle Kartoffelbrei auf den Teller knallte und sagte: »Das ist die Bombe, die deine Großeltern an die Russen verraten haben.«
Es war ein milder Abend, wir saßen auf der Terrasse von Liz' Mutter, bei der dritten Runde zog ich am Joint, ich merkte nichts, mir fiel es nur leichter, mit Leuten zu reden, die ich gar nicht gut kannte. Es war eigentlich ganz angenehm. Ich hatte meinen ersten Joint mit einer Enkelin der Rosenbergs. Das passte dann doch.
Kurze Zeit später war Liz wieder schwanger und lud mich zu einer Babyshower ein, die in der Wohnung einer Freundin stattfand. Ich fragte Liz, was eine Babyshower ist. Sie antwortete, eine Freundin richte eine kleine Party für sie aus, es gebe etwas zu essen und zu trinken und Geschenke fürs Baby. »Was schenkt man denn da so?«, fragte ich, und Liz sagte in ihrer gleichgültigen Art, ich solle mir keine Gedanken machen, sie könne alles gebrauchen. Ich suchte also den Keller nach alten Sachen von Ferdinand durch, packte einen Sack mit gebrauchten Jeans und Shirts und kaufte dazu einen Strampelanzug in dem H&M-Laden, der gerade in Manhattan eröffnet worden war.
Die Babyshower fand an einem Samstagnachmittag in einem schicken Penthouse am Prospect Park statt. Es gab Champagner und Schnittchen. Liz stand vor einem Berg mit in Seidenpapier eingewickelten Paketen, um sie herum 20 Frauen auf hochhackigen Schuhen und mit Sektgläsern in der Hand, die mit Sicherheit nicht auf Liz' und Johns Kiffergrillparty gewesen waren. Liz, die sonst immer nur mit Schlabberhosen und Birkenstocksandalen herumlief, hatte ein weit ausgeschnittenes Kleid an und war noch beim Friseur gewesen. Sie nahm sich jedes Geschenk einzeln vor, bewunderte das Papier, las die Karte laut vor und brachte unter vielen Ahs und Ohs aller versammelten Frauen die reizendsten Dior-Hemdchen, Tiffany-Mützchen und Gucci-Schühchen zum Vorschein. Die Frauen applaudierten, riefen: »Oh, how cute.« »Adorable.« Ich goss mir schnell ein Glas Sekt ein. Vielleicht würde Liz ja die Tüte mit Ferdinands Sachen ignorieren und nur das H&M-Geschenk auspacken. H&M war nicht Gucci, aber wenigstens neu. Aber Liz, die gute alte Liz, stellte meinen Kleidersack zwischen ihre Beine und hob Ferdinands abgewetzte Jeans mit der gleichen Emphase in die Höhe wie das Tiffany-Mützchen. Ich machte mich gleich nach der Bescherung aus dem Staub.
Als Liz mich später fragte, warum ich so früh gegangen war, und ich ihr meine Nöte beichtete, sagte sie: »Oh, don't worry«, und jedes Mal,
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