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Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Titel: Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Levi
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Hatte jemand eine Reise erlebt so wie ich, hatte jemand eine solche Liebe erlebt, wie ich sie erträumte, und hinterher das Bedürfnis empfunden, davon zu erzählen, zu schreiben? … Ich weiß es nicht. Doch eine Stimme, woher immer, redet mir nachdrücklich zu, ich solle an diese Möglichkeit glauben. Eine Stimme sagt mir, so eine Erzählung wurde erlebt und aufgeschrieben oder würde aufgeschrieben werden. Warum denke ich das? … Wer weiß … Vielleicht weil ich überzeugt bin, daß das Leben auch mit den Wahrheiten der Romane schöner werden kann … Sonst hätte ich wohl nicht weiterhin geglaubt, daß die von mir erträumte Liebe nur zu einem Roman gehören konnte …
    Diese Bilder ließ ich in Izmir auf der Fahrt vom Flughafen ins Hotel noch einmal in meinem Geist vorüberziehen. Ich war in dem Hotel kein Fremder mehr. Wenigstens diesen Wunsch hatte ich verwirklicht. Nach jener ersten Reise hatte ich jahrelang keine Gelegenheit gefunden, diese Küste zu besuchen, die zu den schönsten des Landes gehört. Im Verlauf des Lebens, als ich erwachsen war, wenn man so sagen kann, übernachtete ich dann auf meinen kurzen Geschäftsreisen immer in diesem Hotel. Um mit jedem Mal den Schmerz des Mangels aus der Vergangenheit ein wenig mehr aufzulösen … Der Schick blieb in meinen Augen immer gleich. So sehr, daß mir die Verlockung der in späteren Jahren eröffneten anderen, viel schickeren Hotels nichts bedeutete. Ich war letztlich wie viele andere Menschen einer, der irgendwo an der Vergangenheit hängt. Es gab inzwischen weder Gönül Yazar noch Zeki Müren … Doch es gab die Spuren der Geschichte, das Gefühl … Dort waren die Träume meiner Kindheit …
    Dieses Mal war mein Besuch ganz anders als sonst. Erstens war ich nicht auf Geschäftsreise. Zweitens bemühte ich mich und sorgte mich, eine Erzählung aufzubauen, die mich mit jedem Tag mehr beschäftigte. Und drittens sollte das Hotel, das nicht nur bei mir, sondern bei vielen Menschen tiefe Eindrücke hinterlassen hatte, bald nicht mehr existieren. Vielleicht würde an seiner Stelle ein Hotel errichtet werden, das noch schicker, noch komfortabler, noch zeitgemäßer, noch strahlender war, doch es war nicht dieses Hotel, konnte es nicht sein … Außerdem hatte ich mir, so wie ich zu Şeli gesagt hatte, ziemlich viel Zeit gelassen, wieder in diese Stadt zu kommen. Diese Gründe reichten aus, mich gespannt zu machen. Wieder hatte ich den Anblick vor Augen, den es nur hier gab. Direkt gegenüber der Rezeption stand die Statue der Muttergöttin, dann gab es das Schwimmbecken, dessen unterer Teil aus Glas war, so daß man, wenn man wollte, hineinschauen konnte, und davor das Restaurant. Und über jene Treppe hinauf, deren jede Stufe viele Erinnerungen und Namen trug, erreichte man die ›Lobbybar‹.
    Ich ging aufs Zimmer. Da ich nur übers Wochenende bleiben wollte, war ich mit einer kleinen Tasche angereist. Ehe ich meine Sachen auspackte, ging ich wie jedesmal erst durchs Zimmer und versuchte zu fühlen. Dann streckte ich mich auf dem Bett aus. Es war fast Mittag. Ich mußte nicht länger warten, um mich bei Şeli zu melden. Ich wählte, und dieses Mal traf ich sie zu Hause an. Ich eröffnete das Gespräch mit der unvermeidlichen Selbstsicherheit, die das Überraschungsmoment mir verlieh.
    »Guten Tag, wie geht es dir? …«
    Ich spürte, sie war eine kurze Weile verblüfft. Doch es dauerte nicht lange, bis sie sich faßte. Sie antwortete wieder in dem selbstbewußten Ton, der mich, vielleicht weil ich darauf vorbereitet war, nun etwas weniger befremdete.
    »Grüß dich … Wann kommst du? …«
    Nichts hinderte mich, im selben Ton wie anfangs weiterzusprechen.
    »Ich bin in Izmir. Ich bin schon ganz nahe bei dir! …«
    Ich merkte, sie war ein weiteres Mal verblüfft. Doch in ihrer Stimme lag aufrichtige Freude.
    »Um Himmels willen! … Aber du wolltest doch Bescheid geben? … Na gut, wo bist du denn, sag! …«
    »Im Efes-Hotel … Ich erwarte dich, meine Liebe! …«
    Eine aufgeregte Frauenstimme antwortete, die den Eindruck machte, als habe sie rasch einen Entschluß gefaßt.
    »Ja, da bist du wirklich ganz in der Nähe! … Gut, ich komme! …«
    Ich sagte, ich erwarte sie in der Lobby. Sie sagte, sie würde spätestens in einer Stunde bei mir sein … Sicherlich brauchte sie noch Zeit, um sich zurechtzumachen. Das Leben hatte mich gelehrt, diese Möglichkeit zu bedenken. Ich war voller Freude und Aufregung. Wie sollte ich nicht aufgeregt sein, wenn

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