Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach
Letztlich reichte das, was ich sah aus, um mich mehr zu erregen. Ich mochte diese Erregung, darum sah ich keinen Anlaß, sie zu verstecken. War auch sie innerlich erregt? Es schien, als sagten ihre Blicke, ihr Atmen, ihr Lächeln, daß sie diese von mir erwartete Aufregung spürte und ganz spontan auch mich merken lassen wollte, ohne sie zu verstecken. Ich fuhr am selben Punkt fort, in der Hoffnung, die Türen zu noch anderen Räumen zu öffnen.
»Es sieht so aus, als seien die Jahre für dich gut verlaufen.«
In dem Moment nahm ich in ihrem Gesicht auch eine kleine Traurigkeit wahr. Ihre Worte klangen jetzt wie die einer Frau, die gelernt hatte, über ihre Schmerzen zu lächeln, einer müden Frau, die das hinter den Worten Verborgene zu verstehen versuchte, die in sich die Spuren eines schweren Kampfes trug.
»Wirklich? … Dann ist es ja gut …«
Es war nicht möglich, den Vorwurf in ihrer Stimme zu überhören. Doch dieser Vorwurf bezog sich nicht auf mich oder meine Worte, sondern sozusagen auf das Leben und das, was sie erlebt hatte. Was ich über sie in bezug auf die Jahre, die wir getrennt waren, gehört hatte, führte mich zu dieser Vermutung. Gab es noch Weiteres, Tieferes? … Sicherlich gab es das … Vielleicht würden wir im Laufe der kommenden Stunden unserer Begegnung gemeinsam in diese Tiefe hinabsteigen … In jenen Augenblicken brauchte ich diese Überzeugung. Doch war es richtiger, diese Möglichkeit noch eine Weile aufzuschieben? Man mußte sich nach dem richten, was sich für den Ablauf einer Neubegegnung gehörte. Ich schüttelte lächelnd den Kopf, so als wäre ich entschlossen, auf dem ersten Eindruck zu beharren, den ich von ihr gewonnen hatte. Ich machte mir auch Sorgen, ob sich in meinen Augen ausdrückte, daß ich etwas über ihr Schicksal wußte. Ich konnte aber natürlich nicht wissen, inwieweit mir dieses Gefühl anzumerken war. Ja, wir würden reden, auf jeden Fall reden. Hektik war unnötig. Doch sie wirkte irgendwie hektisch. Wie unter einer Spannung, die sie nicht kaschieren, verstecken konnte … Es war sicherlich zu erwarten und nicht verwunderlich, daß sie von der Begegnung und den Gefühlen, die diese auslöste, beeinflußt war. Vielleicht nahm sie auch Medikamente. Als ich über diese Möglichkeit nachdachte, fiel mir auch auf, daß sie lange Schweigephasen, Zwischenräume im Gespräch nicht ertrug. Dazu paßte mein Eindruck, daß sie zwanghaft sprach, um das Gespräch anzuheizen.
»Auch du siehst nicht schlecht aus. Du hast zugenommen, deine Haare sind ergraut, aber du siehst gut aus. Du bist ja ein richtig gutaussehender Mann geworden …«
Ihre Worte gefielen mir natürlich. Wie viele Menschen hatte ich die Schwäche, daß ich mich gerne loben ließ. Ich versuchte das Lob zu genießen. Indem ich nicht versäumte, durch meine Blicke zu zeigen, daß ich mir gewisser Tatsachen bewußt war …
»Wir haben den Tag gut begonnen … Jahrelang habe ich darauf gewartet, daß du mir dies sagst! …«
Sie lachte. Ihr Lachen war wirklich attraktiv. Hatte sie dieses Lachen wohl viele Male vor dem Spiegel geübt? Ich fand keine Gelegenheit, noch andere Fragen zu stellen und weiterzugehen. Sie drückte ihre Zigarette mit einer leicht nervösen Bewegung im Aschenbecher aus und verkündete wieder mit jener selbstbewußten Stimme und Haltung, mit der sie anscheinend immer bekam, was sie sich in dem Kopf setzte, sie habe längst ein Programm für uns beide gemacht.
»Komm, ich führe dich zum Essen aus. Hier bist du mein Gast. Dann gehen wir in den Laden.«
Hier gab es eine kleine Information über ihr Leben, sagte ich zu mir. Genau die rechte Zeit, eine Erklärung zu erwarten. Dafür reichte ein Wort.
»Laden? …«
In ihren Blicken bemerkte ich Stolz auf ihre Arbeit. Die Art, wie sie ihre Worte vorbrachte, unterstrich ausreichend, daß mein Gespür richtig war.
»Ein Laden für Damenunterwäsche … Im Sommer nehmen wir auch Badeanzüge dazu. Wahrscheinlich hast du von der Marke Gottex 13 gehört! …«
Wenn ich daran dachte, wo sie die Jahre davor verbracht hatte, dazu ihre Erfahrung, dann fiel es mir nicht schwer, eine Verbindung zu Gottex herzustellen. Doch es war auch nicht allzu schwer, ihrem kleinen Stolz deswegen zu schmeicheln.
»Oho, alle Achtung! … Das bedeutet, unsereins sitzt einer erfolgreichen Geschäftsfrau gegenüber …«
Nichts hinderte an der Fortsetzung des Spiels.
»Nun übertreiben wir das aber nicht dermaßen, mein Lieber … Immerhin wirst du es
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