Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach
Nachkommen der aus muslimischen Ländern ausgewanderten Familien ging … Das ist lange her … Wir trafen uns in der Wohnung eines gemeinsamen Freundes. Er erzählte von vielen schlechten Zeiten, doch jetzt ginge es ihm gut, wie er sagte. Er lebte in Haifa … Ich werde ihn für dich finden, keine Angst, ich finde ihn bestimmt …«
Jetzt war die Reihe an mir, etwas besorgt zu lächeln. Ich wollte noch einmal glauben, daß ich im Laufe der Zeit schon sehen würde, was ich sehen mußte. Erneut begnügte ich mich mit einer Phrase, die vieles bedeuten konnte. Denn langsam wurde ich nervös, weil nun Şebnem an die Reihe kam, die einzige Person, von der wir noch nicht gesprochen hatten …
»Wie du meinst …«
Sie nickte erneut lächelnd … Sie wirkte nun wieder weiblicher. Irgendwie versöhnter mit dem, was sie vor kurzem gehört hatte … Ich hatte keine Ahnung … Was sie zeigte, konnte auch ebenso Teil eines Spiels sein. Doch kam Şebnem irgendwie nicht, wie ich mir vorgestellt hatte, an die Reihe. Selim trat ein, als wir uns gerade etwas entspannt hatten. Damit ich wußte, um wen es sich bei dem Eintretenden handelte, mußte Şeli natürlich in Aktion treten. Doch eine Stimme, ich weiß nicht, woher und warum, sagte mir sofort, daß er es war, der mir gegenüberstand. Deshalb war das gegenseitige Bekanntmachen für mich nicht besonders aufregend.
Er wirkte, als könne er mit seiner sympathischen, selbstbewußten Art viele Menschen sofort beeindrucken. Er war mit Sonnenbrille eingetreten, hatte diese aber abgenommen, als wir uns gegenseitig vorstellten. Augenblicklich dachte ich, dieses Ehepaar besitze wohl eine riesige Sammlung an Sonnenbrillen. Doch wie verschieden war seine Sonnenbrille von der Necmis … Seine leicht angegrauten, am Scheitel etwas dünnen Haare waren lang und im Nacken zusammengebunden, sein Bart war noch etwas grauer und sorgfältig in Form gebracht, die Haut war gebräunt, er trug Jeans und ein weißes, kurzärmeliges Leinenhemd mit offenem Kragen, dunkelblaue Sportschuhe. Sein unübersehbar dicker Bauch und auch seine muskulöse Statur paßten sehr gut zu dem überaus männlichen Typ, der, wie ich mir vorstellte, beim Trinken laut lachte. Dieser Eindruck verstärkte sich noch, als er mir fest die Hand drückte. In dem Moment dachte ich, er könne deshalb ein guter Pokerspieler sein. Letztendlich hatte auch ich, wie jeder, meine vorgefaßte Meinung und meine fertigen Muster im Kopf, um die Menschen sofort in Schubladen einzuordnen. Sicher konnte ich mich auch irren. Doch bestätigte das, was er sagte, kaum daß wir uns kennengelernt hatten, diese richtige oder falsche Lebenserfahrung.
»Willkommen in Izmir … Entschuldige, daß ich erst jetzt komme. Aber ich habe mir gedacht, ihr wolltet ein wenig allein sein, nachdem ihr euch so lange nicht gesehen habt …«
Menschen, die gleich bei der ersten Begegnung so vertraut, zwanglos zu reden anfangen, sind mir, im Gegensatz zu dem, was sie demonstrieren wollen, immer total steif vorgekommen. Ich glaubte, daß dieser Typ Mensch hinter seiner Lässigkeit bewußt oder unbewußt seine Unsicherheit versteckte. In dem Moment erinnerte ich mich an diese Tatsache. Doch es kam mir unnötig und sinnlos vor, mir sofort diesen Gedanken anmerken zu lassen. Im Gegenteil, ich bemühte mich soweit wie möglich, mich der Stimmung anzupassen.
»Danke … Das hat auch gutgetan … Wir haben lange geredet, haben unsere Erinnerungen aufgefrischt … Doch wir sind noch immer nicht fertig … Wenn du magst, dann kannst du noch ein bißchen durch die Gegend bummeln …«
Er lachte. Auch ich grinste und schaute zu Şeli. Sie lächelte ebenfalls. Sicherlich war sie zufrieden, daß deutlich geworden war, was für ein umgänglicher Mensch ihr Mann war, und daß ich mich ebenfalls locker verhielt. Wie es schien, machte sich hier niemand Gedanken darüber, wie wenig herzlich diese Gespräche eigentlich waren. Die Gefühle konnten wieder einmal verdeckt bleiben. Außerdem gab es keinen Grund, allzusehr in die Einzelheiten zu gehen. Man lebte das Leben so, wie es gelebt werden konnte. Ich wünschte mir in dem Moment bloß, mich in den kommenden Abendstunden nicht allzusehr zu langweilen. Ich würde mir die Zeit mit diesen Mitspielern meines Wochenendes wieder mal auf meine Art vertreiben. Nach der Begrüßungszeremonie im Stehen setzten wir uns wieder und versuchten, einigermaßen zwanglos mit Themen, die mögliche Beunruhigungen vermieden, sowohl das Gespräch zu
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