Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach
erinnern. Ich muß mich nur daran erinnern, daß wir über das ›Spiel‹ sprachen, das wir erneut auf die Bühne bringen wollten. Şeli ließ sich ziemlich mitreißen. Sie dachte sogar schon darüber nach, was wir mit dem Geld aus dem Verkauf der Eintrittskarten machen wollten und daß sie aus Izmir Zuschauer bringen könnte. Dann sprangen wir zu anderen Themen. Wir sprachen von Cognac, von Zigarren, von Izmir und seinen Frauen, seiner Geschichte und seinen Speisen. Selim war genau wie Şeli ihn beschrieben hatte. Er hatte offenbar zu jedem Thema etwas zu sagen. Ich verstand nicht, warum ein Mensch soviel Wissen anhäufte, darauf soviel Wert legte. Als ich mit derartig viel Wissen bombardiert wurde, fühlte ich mich plötzlich sehr müde. Ich war fast zwei Stunden dort gewesen, zudem war es schon ziemlich spät. Ich stand auf und sagte, ich wolle nun in mein Zimmer gehen und mich ausruhen. Ihr Angebot, mich ins Hotel zu bringen, nahm ich nicht an. Ich konnte den Weg finden, ich wußte, es war nicht sehr weit. Ich wollte ein wenig allein sein. Sie drängten mich nicht weiter. Sie sagten, sie würden mich am Morgen, besser gesagt gegen elf Uhr mittags abholen; ich sagte, mir wäre es lieber, wir würden uns bei der Anlegestelle Pasaport am Hafen treffen. Ich wollte dort frühstücken, denn ich hatte die Nase voll von den gewöhnlichen, genormten Hotelfrühstücken. Sie sagten, sie würden kommen, wann ich wollte, und würden auch boyoz , die bekannte Izmirer Gebäckspezialität, und gekochte Eier mitbringen. Wenn ich denn schon auf Izmirer Art frühstücken wollte … Sie versäumten nicht, mir den Weg zum Hotel zu beschreiben. Es war aber nicht schwierig. Ich konnte mich wohl kaum verlaufen. Ich hatte es in vielen fremden Städten immer sehr reizvoll gefunden, mich manchmal zu verlaufen, meinen Weg nicht zu finden und deswegen auf anderen Wegen zu gehen, neue Wege zu entdecken. Unter leidenschaftlichen Fotografen wie mir gibt es wahrscheinlich viele, die dieses Gefühl erleben wollen und es auch tun. Ich habe in Lissabon dieses Erlebnis ausgekostet und auch in Amsterdam. Doch Izmir war für mich keine fremde Stadt. Nun erst recht nicht mehr, nach allem, was ich erlebt und gesehen hatte …
Ich marschierte in sicherem Vertrauen zum Hotel. Dort ging ich auf mein Zimmer, zog mich aus und legte mich sofort ins Bett. Ich war müde, konnte jedoch nicht einschlafen. An einem einzigen Tag hatten sich derart viele Gefühle und Erzählungen zusammengedrängt … Auf Fernsehen hatte ich keine Lust, so löschte ich das Licht und versuchte, die Gespräche in meinem Geist Revue passieren zu lassen. Es gelang mir nicht. Ich weiß nicht, wieso, aber plötzlich fiel mir Berfin ein. Ihr Lachen, ihre braune Haut und ihr Gewürzgeruch … Ich stellte mir ihren nackten Körper vor. Ihre Brüste mit aufgerichteten Nippeln, ihre runden Hüften, die Härchen zwischen ihren Beinen … Ich wünschte mir, mit ihr heftig Liebe zu machen. Das war ein sehr erregender Zustand. Ich stellte mir vor, wie sie die Tür meines Zimmers öffnete und sagte, sie habe gefühlt, daß ich sie erwartete. Dann legte sie sich splitternackt neben mich, küßte wollüstig meine Lippen, ließ ihre Zunge über meinen Hals, meine Brust, meinen Bauch wandern, schließlich legte sie sich auf mich und verlangte, daß ich in sie eindrang. Ihre schnellen Atemzüge und ihr Stöhnen waren zum Verrücktwerden … Nachdem ich so weit gegangen war, tat ich in meiner Einsamkeit das einzige, was ich zu meiner Erleichterung tun konnte. Dieses Gefühl hatte ich schon seit Jahren nicht mehr erlebt … In dem Moment wünschte ich mir sehr, sie würde fühlen, daß ich mit ihr Liebe gemacht hatte. Ich wußte natürlich nicht, was sie tat, wo sie war, mit wem. Ich hatte nur meine Träume, doch auch träumen war schön … Dann schlief ich ein …
Als ich am Morgen aufwachte, war es fast halb zehn. Ich stand auf, duschte mich und zog mich an. Ich nahm meinen Fotoapparat mit und ging hinaus, ohne am Frühstückssalon vorbeizugehen. Das Wetter war wunderschön. Es sah so aus, als erwartete uns wieder ein heißer Tag. Ich ging ganz langsam. Die Stadt erwachte erst. Wie anders als mein erster Sonntag in dieser Stadt war doch dieser Sonntag … Als ich zu dem Café am Pasaport kam, setzte ich mich an einen der freien Tische. Das Café war noch nicht voll. Ich bestellte einen starken Tee. Mein Tisch war nahe am Meer. Ein Dampfer kam von Karşıyaka herüber, dem Stadtteil auf der anderen
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