Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach
verdichten als auch einander manche Einblicke in unser Leben zu geben. Für solche Situationen hatten wir sowieso viele einfache Spielfiguren, die wir jederzeit leicht hervorziehen konnten. Auch er sei wie wir Absolvent eines französischen Gymnasiums; Izmir sei eine schöne Stadt, in der man leichter als in Istanbul leben könne; man dürfe die glanzvollen Tage der Fußballclubs Göztepe und Altay nicht vergessen; vom guten Essen etwas zu verstehen bedeute, das Leben besser zu verstehen; im Sommer müsse ich unbedingt nach Çeşme kommen, ich müsse mit ihnen eine Woche auf ihrem Boot verbringen, ich müsse unbedingt Çela und unseren Wein mitbringen … Nach einer Weile begann ich mich trotz all meines guten Willens zu langweilen. Ich redete, antwortete auf das Gesagte, aber gleichzeitig fragte ich mich, wie ich mich aus dieser unbehaglichen Lage befreien konnte. Die Rettung kam von Şeli, die wohl irgendwie merkte, wie ich mich fühlte, und während sie noch einmal ihren Mann mit dem Ausdruck einer glücklichen Frau anschaute, versuchte sie auf die mir nun schon sehr gewohnte Art, dem Gespräch eine Wendung zu geben. Der gewählte Zeitpunkt war absolut passend.
»Schatz, was sagst du dazu, wenn wir Isi heute abend nach Karataş ausführen? … Wir könnten ihm auch Asansör 14 und die Dario-Moreno-Gasse 15 zeigen …«
Nun war Selims Auftritt an der Reihe. Auch er sprach, so wie es die Rolle verlangte, indem er seine Frau anschaute.
»Ich hatte gedacht, wir fahren nach Foça. Doch Asansör ist auch eine gute Idee. Zwar ist das Restaurant nicht besonders, aber der Ausblick ist schön …«
Ich spielte meinen Part als Zuschauer. Er schaute mich an und versuchte mit dem gleichen Entgegenkommen, mich an der Planung zu beteiligen.
»Kennst du den Aufzug im renovierten Zustand? …«
Ich sagte, ich wüßte, daß es eine Renovierung gegeben habe, doch ich hätte keine Gelegenheit gehabt, mir das anzuschauen. Mir gefiel die Idee. Weil es sowieso vor allem um das Gespräch ging, war das Essen in dem Restaurant nicht so wichtig. Nichts hinderte uns am Aufbruch. Wir erhoben uns, schlossen den Laden, stiegen in Selims Auto ein und machten uns auf den Weg. Dabei kam das Gespräch selbstverständlich auf Autos. Er fuhr einen Honda CVR . Selim sagte, wie sehr er Jeeps liebte. Dann wurde erklärt, was alles an unserem Weg lag, und bezüglich der Orte, an denen wir vorbeikamen, wurden kurze Erläuterungen abgegeben. Ich hörte zu und bemühte mich, ab und an kleine Reaktionen der Begeisterung zu zeigen, weil ich glaubte, sie erwarteten das. So brachten wir auch diesen Weg hinter uns. Nachdem wir das Auto geparkt hatten, gingen wir ein wenig in der Dario-Moreno-Gasse spazieren. Wir sprachen über dessen Lieder, die uns in unserer Kindheit tief beeindruckt hatten und erinnerten uns gegenseitig an die Titel … Das Meer und der Mondschein ; Adieu Lissabon ; Jeden Abend Wodka , Raki und Wein ; Ihr Kleid wirkt rot. Ich war ein wenig erleichtert. Wir alle drei waren ein wenig erleichtert … War das der Zauber Dario Morenos? … Vielleicht gefiel es uns, der Spur eines Gefühls zu folgen, das aus der Kindheit stammte, und zu sehen, daß wir diese Spurensuche miteinander teilen konnten. Das Ergebnis war gut. Als hätten wir uns alle drei diese Entspannung sehr gewünscht. Dazwischen sprachen wir von dem historischen Asansör und seinem Erbauer, Nesim Levi. 16 Schließlich gingen wir ins Restaurant. Die Kellner kannten die beiden und insbesondere Selim gut. Es hätte mich gewundert, wenn sie sie nicht gekannt hätten. War mein Gegenüber nicht ein Mensch, der das Nachtleben kannte, der durch seinen Beruf über solche Orte Bescheid wußte? … Alles, was ich sah, paßte zu dem Bild in meinem Kopf, und die Show ging, kurz gesagt, weiter …
Beim Essen bevorzugte ich Fleisch. Sie schlossen sich mir an. Es wurde Wein getrunken, dann kamen süßer Nachtisch und Kaffee; alles lief so ab, wie es bei einer solchen Zeremonie üblich war. Wenn man es von dieser Seite aus sah, war alles wohlbekannt. Mehr als wohlbekannt … Doch in Wirklichkeit verlief das Essen gar nicht so sinnlos und gezwungen, wie ich anfangs befürchtet hatte. Denn es gab eine Person, über die wir sprachen, sprechen mußten. Eine Person, über die ich mit Şeli den ganzen Tag nicht hatte sprechen können: Şebnem … Şebnem, die ich nach all den Jahren in tiefer Finsternis gefunden hatte … Şebnem, die Frau in meinem Leben, die mich wohl am tiefsten beeindruckt hatte
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