Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Titel: Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Levi
Vom Netzwerk:
freilich der erstaunlichste und erschütterndste Teil der Erzählung … Wie war unser Leben doch manchmal mit den seltsamsten Zufällen verbunden … Beide wollten sie aus demselben Grund nicht in die Stadt zurück, aus der sie geflohen waren, und doch lebten sie über all die Jahre hin zeitweilig in derselben Stadt, ohne voneinander zu wissen. Und dabei begegneten sie sich niemals … Das war ein richtiger Filmstoff. Was für ein Motiv! Wie schön hätte doch die Erzählung durch einen guten Drehbuchschreiber und einen Regisseur ausgearbeitet werden können. Doch es war Realität. Es handelte sich weder um einen Film noch um einen Roman. Daraufhin fragte sie, ob er einverstanden sei, wegen dieses Theaterstücks nach Istanbul zu kommen. Ihre Stimme zitterte ein wenig. Schließlich hatte meine Antwort für sie eine Bedeutung, die weit über jenes Spiel hinausging. Ich sagte, er habe sich noch nicht entschlossen, doch meiner Ansicht nach werde er wohl kommen. Sie nickte. Es war nun kein Hauch mehr von der selbstbewußten Frau übrig. Sie lächelte, aber es fiel mir nicht schwer zu verstehen, wohin dieses Lächeln sie trug. Es war, als legte sich über diese reifen Gesichtszüge eine wohlbekannte Kindlichkeit. In dem, was sie sagte, lag nun eine schmerzliche Freude. Eine schmerzliche Freude, die die Zeit, in der wir uns befanden, sehr gut in Worte faßte …
    »Es scheint, die Truppe ist bald beieinander … Mensch, Isi, du Blödmann … Du bringst mein Leben ganz durcheinander, das wirst du mir büßen! …«
    Ich lachte. Ich wußte, in diesen Worten lag kein Vorwurf, im Gegenteil, sogar ein geheimer Dank. Das war der Grund, weshalb ich lachte. In dem Moment konnte ich ihr aber nicht sagen, auch um den Zauber nicht zu zerstören, daß es nicht mehr möglich sei, die Truppe ganz genauso zusammenzubringen. Wieder schwiegen wir für eine kurze Weile. Beide waren wir in unseren Welten, in den Winkeln, in die uns unsere Gefühle getragen hatten. Plötzlich beendete sie unser Schweigen mit einer etwas zittrig scheinenden Stimme.
    »Niso wird wahrscheinlich nun auch kommen …«
    Warum war sie so aufgeregt? … Wollte dieses Zittern von einer anderen Begegnung, Erinnerung erzählen? …
    Als wäre in der Stimme der Person mir gegenüber eine Enttäuschung, ja sogar eine Verärgerung zu spüren. Ich fühlte mich gedrängt, einen weiteren Schritt zu tun.
    »Er wird schon kommen … Wenn wir ihn erreichen, kommt er ganz bestimmt, da habe ich keinen Zweifel … Ich wollte dich in dem Fall sowieso um deine Hilfe bitten … Du hast doch dort immer noch einen Bekanntenkreis, eine Reihe Verbindungen. Nur … Nur, du bist auf einmal irgendwie komisch …«
    Sie lächelte. Dieses Lächeln vermittelte ein ähnliches Gefühl wie ihre Stimme. Ein wenig enttäuscht, ein wenig verärgert. Ihre Frage, obwohl sie ganz schlicht war, machte die Situation noch deutlicher spürbar.
    »Ja, meinst du? …«
    Was für eine Antwort sollte ich darauf geben? … Ich war verwirrt und wußte wieder mal nicht, was ich sagen sollte. Worauf bezog sich ihre Frage und auf wen? … Darauf, daß ich gesagt hatte, ich hoffe, sie könne mir helfen, oder darauf, daß ich ihren Gesichtsausdruck irgendwie seltsam gefunden hatte? … In solchen Situationen habe ich meine Gesprächspartner nie zum Reden gezwungen. Jeder erzählte sowieso, was er erzählen konnte und wollte, und die Erzählung entwickelte sich unabhängig davon, was ich wollte, aus den Möglichkeiten, die sich aus den mitgeteilten Tatsachen ergaben oder aus den Fragen, die aus dem Nichtgesagten hervorgingen. Ich konnte nicht weiter vordringen und habe das nie getan. Meine Antwort war ein Ausdruck genau dieser Haltung.
    »Ich weiß nicht … Ich denke halt so … Hast du eine andere Idee? …«
    Sie lächelte wieder. Es war mir, als hörte ich aus ihrer Stimme nun Entschlossenheit und eine versteckt beabsichtigte Herausforderung. Freilich war das mein Eindruck. Dieser konnte auf Tatsachen oder einem Irrtum beruhen … Noch wußte ich nicht, daß ich mit einer Erzählung konfrontiert werden würde, die neue Probleme in mein Leben bringen sollte. Doch ich konnte spüren, daß das, was ich zu sehen und zu hören bekommen sollte, mich erschüttern, mich zu neuen Möglichkeiten forttragen würde.
    »Als ich Niso das letzte Mal sah, hatte er, soviel ich mitbekam, eine ziemlich problematische Beziehung zu einem Mädchen aus Tunesien. Sie sprachen davon, eine Dokumentation vorzubereiten, in der es um die

Weitere Kostenlose Bücher