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Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Titel: Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Levi
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Seite der Bucht. Mit welchen Gefühlen kam man zu dieser Zeit von dort? … Wer weiß … Es strömten so viele andere Leben an so vielen anderen Orten … Ich machte ein paar Bilder. Einstmals hatte ich sehr gerne Dampfer und Anlegestellen fotografiert … Ich schaute auf die Bilder, die ich gemacht hatte, und dachte noch einmal darüber nach, wie sich doch alles so stark verändert hatte … Was hatte ich nicht schon fotografiert? … Was würde ich noch alles fotografieren? … Wieviel Platz und Zeit blieben noch? …
    Während ich in diese Gedanken versunken war, kamen Şeli und Selim. Natürlich hatten sie die versprochenen Dinge mitgebracht. Unser Frühstück war für einen Izmirer vielleicht normal, doch ich war ein Istanbuler, und was ich erlebte, genügte, mich an eine frühere Begeisterung zu erinnern. Sie fragten, wie ich die Nacht verbracht habe. Diese Frage gehörte zu den Fragen, die man so stellt. Ich konnte nur antworten, daß ich gut geschlafen und mich erholt habe. Auch jenen Tag würde ich verbringen, indem ich meine Geheimnisse, meine kleinen ›Sünden‹, in mir verschloß. Indem ich noch einmal die neuen Alltäglichkeiten spielte … Doch Şeli brachte mir an jenem Morgen eine kleine, neue Aufregung, indem sie sagte, sie habe die Internetadresse von Niso gefunden. Sie hatte nur einen Freund in Tel Aviv anzurufen brauchen. Ich hörte wieder dieses Zittern in ihrer Stimme. Obwohl sie es dieses Mal sehr gut verbarg … Das hieß, für diesmal war nur soviel zu erfahren, mehr konnte sie nicht verlauten lassen. Ich bohrte nicht nach. Ich wollte diese Heimlichkeit lieber als Bestandteil eines Geheimnisses sehen, das sie mir später erzählen würde. Zudem machte mich diese Entscheidung noch gespannter. Ich war dabei, das letzte Glied der Kette zu erreichen. Sobald ich zurück in Istanbul war, würde ich den erforderlichen Schritt tun. Ich hatte die Erzählung in Gang gesetzt und würde sie fortführen, so weit es ging.
    Dann versuchte ich, mich wie ein Tourist in Izmir dem Programm anzupassen, das Selim und Şeli geplant hatten. Wir fuhren nach Çeşme. Sie schienen als meine Reiseführer entschlossen, mir auch diese Seite ihres Lebens zu zeigen. Ich hatte nichts dagegen. Der Ort, an den wir fuhren, war schön. Aber das Restaurant in Dalyanköy, wo wir wieder zum Fischessen einkehrten, nachdem wir ein wenig herumgefahren waren, war noch schöner. Auf unserem Tisch stand außer Seetangsalat und in Butter gebratenen Garnelen auch der für mich legendäre Izmirer Rukola. Der Mastixpudding, den wir zum Nachtisch aßen, war ebenfalls typisch für die Region. Bei diesem Essen sprach am meisten ich. Ich erzählte, was ich zu erzählen hatte. Über meine Gefühle in bezug auf Izmir, meine Erinnerung an die erste Reise, meinen Sinn für Fotografie, mein Interesse fürs Kino, von meinen Musik- und Filmsammlungen, wie ich nicht Gitarrespielen gelernt hatte und wie sehr ich mir jenes ›Theaterstück‹ wünschte … Alte Erinnerungen kehrten ebenfalls in unsere Unterhaltung zurück. Zwischendrin sprachen wir sogar von Yorgos, indem wir, vielleicht weil wir nicht anders konnten, die Sache ins Lächerliche zogen. Ich sagte, er sei nun Theaterschriftsteller und Regisseur. Und wie Necmi ihn gesehen und mir geholfen hatte, ihn zu finden … Ich erzählte auch von Monsieur Tahar. Als wäre er der Held eines von mir sehr geliebten Films. In diesem Gespräch wurde mir Selim noch lieber. Durch seine Reden, sein Verhalten, seine Bemerkungen und Scherze zeigte er deutlich, wie sehr er Şeli liebte. Was ich hörte und erzählen konnte, brachte uns einander immer näher. Es waren für mich die bedeutsamsten, berührendsten und glückbringendsten Stunden meiner Reise nach Izmir … Doch wie immer ging auch diese Zeit zu Ende. Als ich sagte, daß ich abreisen müsse, brachten sie mich zum Flughafen.
    Ich trug in mir nun viele Bilder, die mich lächelnd, mit schmerzlicher Freude auf meine Erlebnisse zurückblicken ließen. Ich versuchte, einige dieser Bilder mit Çela zu teilen. Was ich nicht teilen konnte, blieb wieder allein bei mir. Ich wußte inzwischen, das waren die Regeln des Spiels, meines Spiels. Das Gefühl des Teilens und Nicht-Teilens zu erleben … Ich war nur für ein Wochenende weggefahren, aber mir erschien es, als wäre ich viele Tage fortgeblieben. So viele Erzählungen waren in so kurzer Zeit zusammengekommen …

Vorbereitungen für Nisos Auftritt
    Am nächsten Tag rief ich Necmi an, sobald ich im Geschäft

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