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Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Titel: Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Levi
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konnten … Wir lachten. Wir waren gerührt. Beide hielten wir eine Frau in uns lebendig, von der wir uns innerlich irgendwie nicht hatten trennen können. Wir liebten wahrscheinlich auch den damit verbundenen Schmerz, den wir nicht aufgeben wollten. Zu diesem Schmerz gehörten eine Geschichte, ein Egoismus und ein innerer Kampf. Ein innerer Kampf, der uns zwang, uns noch mehr zu suchen und zu erforschen. Ein Kampf, der durch die Gefühle, die er auslöste, uns noch mehr uns selber spüren ließ … Ein Kampf, der uns die Kraft gab, einen Menschen zu unterstützen, und uns das Gefühl erleben ließ zu helfen. Besser gesagt, ich empfand das, was wir erlebten, in dem Moment so … Denn seinen inneren Kampf konnte ich natürlich nicht völlig klar sehen …
    Als ich aber meine erste ›Mail‹ an Niso schrieb, von der ich nicht wußte, auf welche Weise und wann er sie lesen würde, fühlte ich mich voll neuer Hoffnung unter dem Eindruck dessen, woran mich Necmi erneut erinnert und was er mich hatte fühlen lassen. Ich brauchte aufs neue meine Erzählung, und ich mußte auch zeigen, daß mein Leben nicht umsonst gewesen war. Sonst hätte ich nicht genug an den Weg glauben können, auf den ich mich gemacht hatte. Während ich mir jene Zeilen noch einmal zurückrufe, kann ich auch besser verstehen und sehen, wo ich stand.
     
    Grüß dich, Niso!
    Deine Mailadresse habe ich von Şeli bekommen. Du fragst vielleicht, warum ich Dir jetzt nach Jahren so plötzlich schreibe. Ich könnte sagen, ich hatte Sehnsucht und wollte wissen, was Du so gemacht hast und gerade machst. Das ist tatsächlich wahr. Natürlich möchte ich sehr gerne wissen, was Du erlebt hast. Doch ich will gleich sagen, daß ich einen anderen Grund habe, Dir zu schreiben. Ich bereite etwas vor, wofür ich auch Dich finden müßte. Ich werde Dir natürlich ausführlich davon erzählen, was ich beabsichtige. Doch vorher sollst Du kurz erfahren, was sich hier bei mir getan hat. Als Türöffner sozusagen, damit auch Du erzählst, wie es Dir dort ergangen ist … Nachdem Du ebenfalls hier weggegangen warst, habe ich mich sehr einsam gefühlt. Ihr wart alle irgendwohin gegangen. Auch ich habe es nicht ausgehalten und bin gegangen. Ich habe mich eine kurze Weile in London rumgetrieben, mich im wahrsten Sinne des Wortes rumgetrieben, mehr habe ich nicht geschafft. Ich habe so getan, als wollte ich dort studieren und mir ein neues Leben aufbauen … Na gut, egal, das ist vorbei, es lohnt sich nicht, lange davon zu erzählen. Als ich zurück war, hatte ich die Lust verloren weiterzustudieren. Eine Zeitlang wollte ich ein kleines Restaurant aufmachen. Doch die Realitäten des Lebens erwarteten mich. Der langen Rede kurzer Sinn, alle Träume wurden auf Eis gelegt, und ich tat das einzige, was ich damals tun konnte oder tun zu können glaubte, ich übernahm das Geschäft meines Vaters. Alle waren zufrieden. Als ich auch noch eine Ehe einging, gegen die man nichts einwenden konnte, glaubten die Leute, wie Du Dir vorstellen kannst, daß der Alptraum gänzlich vorbei sei. Der aufrührerische, junge Mann war zurück auf dem rechten Weg. Doch niemand interessierte sich für den Albtraum, der in mir weiterlief. Hauptsache, jenes Spiel der Tradition wurde fortgeführt … Man muß nicht einmal darüber reden, wie diese Traditionen unsere Individualität vernichten und manche Menschen still, langsam, brutal vom eigentlichen Leben entfremdet und sogar abgeschnitten haben … Tradition war Tradition …
    Über dieses Problem haben wir seinerzeit viel gesprochen, wie Du Dich vielleicht erinnerst. Deshalb muß ich das Thema hier nicht ausbreiten. Doch ich will nicht undankbar sein, ich habe eine gute Ehe geführt. Wenn ich daran denke, was ich mit der Frau erlebt habe, die seit vierundzwanzig Jahren mein Leben teilt, kann ich sagen, es war ziemlich gut – vielleicht hätte es besser sein können, denn etwas Besseres gibt es immer, solange man es nicht erlebt hat – doch ich kann sagen, es war soweit wirklich gut. Ich weiß nicht, wie wichtig Dir das inzwischen ist, aber da wir schon davon sprechen, sage ich Dir, daß meine Frau Çela heißt. Zeigt nicht allein dieser Name schon, warum ich glaubte, gegenüber dieser Ehe keinen Einspruch erheben zu können? … Außerdem, Du wirst es nicht glauben, haben wir aufgrund von ›prop‹ geheiratet! Weißt Du noch, wie wir uns über den Ausdruck amüsiert haben, mit einem Mädchen ›prop‹ zu machen? … Mann und Frau durch Vermittlung

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