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Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Titel: Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Levi
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erinnerte? … Ich wußte es nicht.
    »Im Grunde liebte ich dies hier mehr als ihr alle. Doch was sollte ich sonst noch anstellen? … Mich erwartete kein Laden wie dich. Du sagtest zwar: ›Ich kümmere mich nicht um die Geschäfte meines Vaters‹, doch du hattest immer noch einen Rückhalt. Ich hatte den nicht. Und dann der Zustand des Landes! Es war nicht klar, wer wessen Feind war. Die Dinge waren längst aus dem Ruder gelaufen. Noch auf der Uni hatten wir gemerkt, daß die Revolution, auf die wir die größten Hoffnungen setzten, nicht zu verwirklichen war. Die Tatsachen konnten wir irgendwie nicht offen aussprechen, eingestehen, aber wir konnten sie sehen. Manche Freunde machten gute Arbeit in den gecekondu -Vierteln, und es gab Fatsa 18 , nun gut, und doch war es, als käme eine große Welle über uns, die uns alle verschlingen würde. Wir haben so viele Kommilitonen von der Technischen Hochschule verloren. Sogar unsere Professoren waren Ziel der Kugeln. Manche von uns haben gesessen. Auch mir hätte jederzeit etwas passieren können. Du hast angefangen, etwas weich zu werden. Ich war noch immer hart. Was für Tage waren das doch … Wir haben genügend Fehler gemacht, trotzdem waren es schöne Tage, Meister! … Gut, daß wir auch jene Tage erlebt haben … Natürlich können wir das jetzt sagen. Ich erinnere mich gut sowohl an meine Angst als auch meinen Schmerz. Die Heimat war am Ende, wir waren am Ende … Ich konnte aber auch an dem Ort, wohin ich ging, den Kampf fortsetzen, mit den dortigen Genossen Kontakt aufnehmen, die Sache der Palästinenser unterstützen. Wir würden einen Weg finden. Es gab auch andere Weltgegenden, wo man kämpfen konnte … So habe ich mich halt getröstet. Übrigens war da noch mein Musikantentum. Hätte ich hier damit Geld verdienen wollen, so hätte ich nur in Nachtclubs und billigen Kasinos Arbeit finden können. Doch das war nichts für unsereinen. Du siehst, alle Türen waren mir verschlossen. Als ich sagte, daß ich weggehen wollte, warst du erst dagegen und sagtest: ›Hier ist deine Heimat, willst du in ein imperialistisches Land gehen?‹ Mir war bewußt, du versuchtest, mich an meiner schwachen Stelle zu treffen. Doch als du gehört hattest, was ich zu sagen hatte, hast auch du mir recht gegeben …«
    Ja, ich hatte ihm recht gegeben. Alle waren irgendwo hingegangen. Ich wollte nicht auch noch ihn verlieren. Doch es schien, als gäbe es keine Wahl, keinen anderen Ausweg. Zudem beeindruckte mich sein Bemühen sehr, aus dem Graben herauszukommen, in den er gefallen war, der Kampf, den er um seines Lebens willen auf sich nahm. Darum übernahm ich zwei Monate nach diesem Abend von Herzen gern die Aufgabe, ihn als letzten Freund mit seinen Koffern auf den Flughafen zu bringen und den ›Fremden auszuliefern‹. Ich war es auch, der an jenen Tag erinnerte.
    »Natürlich habe ich dir recht gegeben. Als wir zum Flughafen fuhren, hast du gesagt, daß wir uns wohl jahrelang nicht sehen, uns aber eines Tages ganz sicher wieder begegnen würden. Wir würden durchhalten. Wir würden den Kampf gewinnen, trotz unserer Toten und unserer Niederlagen … Wir gaben einander unser Wort. Wir würden nicht weinen. Wir würden nicht wanken und nicht den Mut verlieren. Wir versuchten, uns gegenseitig davon zu überzeugen, daß wir uns nicht völlig voneinander trennten, sondern nur beschlossen hatten, an unterschiedlichen Orten zu leben. Du hast mir noch ein Versprechen abgenommen. Wenn du es nicht wolltest, würden wir nicht wieder Kontakt aufnehmen. Du würdest dort bleiben und deinen Kampf alleine durchstehen. Du wolltest die Möglichkeit der Rückkehr völlig aus deinem Kopf verbannen. Ich habe dieses Versprechen jahrelang gehalten. Nur einmal war ich nahe dran, mich davor zu drücken. Ich war in Tel Aviv und durchlebte schlimme Tage. Es hätte mir sehr gut getan, mit dir zu sprechen. Doch ich habe dich nicht angerufen, nicht anrufen können. Nicht allein, weil ich mein Wort nicht brechen wollte, eigentlich auch, weil ich niemanden sehen wollte … Nun ja, das ist vorbei. Ich werde davon erzählen, wenn es soweit ist … Doch ich habe mein Wort nur bis jetzt halten können. Denn ich hatte das Gefühl, wenn ich dich wegen des Spiels nicht angerufen hätte, hätte ich an mir selbst Verrat begangen, ebenso wie an der ›Schauspieltruppe‹ und unserer Vergangenheit. Außerdem … Außerdem hat dieses Versprechen keine Bedeutung mehr angesichts dessen, was ich erlebt habe … Lassen wir das

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