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Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Titel: Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Levi
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anderen Ort zu versetzen … An dem Tag, als wir die Schule wegen eines Türkeipokalspiels geschwänzt hatten, gab es das Şükrü-Saraçoğlu-Stadion noch nicht. Ich dachte daran, wie wir mit Necmi als die drei schier unzertrennlichen Kameraden, um ein Spiel gegen Galatasaray von der Neuen Offenen Tribüne des Mithat-Paşa-Stadiums anschauen zu können, am Sonntag in der Frühe um sechs in der Schlange gestanden hatten und plötzlich in eine Schlägerei geraten waren, in der wir von Polizeiknüppeln, deren Schmerz ich noch immer nicht vergessen habe, auseinandergetrieben worden waren; wie wir bei einem anderen Spiel um den Türkeipokal mit vier zu fünf Beşiktaş unterlagen und wie Yılmaz, genannt Jilet , Rasierklinge, nach seinen Fouls und der entsprechenden Ermahnung in militärischer Habachtstellung vor dem Schiedsrichter strammgestanden hatte, um sich zu entschuldigen; ich erinnerte mich an die Anstöße von Levent, genannt der Bär; daran, wie wir, wieder in einem Pokalspiel, bei einem Heimspiel gegen Ankaragücü, nur noch zu acht, durch ein Tor von Köksal besiegt worden waren; an unsere Didi-Zeit, die Freistoßtore von Osman, daran, wie wir die Spiele nur hatten stehend anschauen können, wie wir die Mannschaftsaufstellungen auswendig hersagen konnten, an unseren Ausscheidungskampf gegen Manchester City, 17 die unvergeßlichen Tore, die Abdullah und Ogün in diesem Spiel geschossen hatten, die Finten von Cemil, seine ständig rutschenden Socken, die Anfeuerung der Elf durch Rıdvan, die Weitschüsse von Can Bartu, den wir nur in den letzten Jahren seiner Karriere erwischt hatten, die Rettungsaktionen von Datcu, an Ziya als Mannschaftskapitän, Alpaslan als Spielführer … Wenn wir davon angefangen hätten, wer weiß, wohin wir geraten wären … Darum fing ich gar nicht erst an. Wir hatten anderes zu besprechen. Unser Leben hatte andere Aspekte, andere Seiten … Zudem wollte ich bei der gemeinsamen Erinnerung an diese unvergeßlichen Augenblicke Necmi dabeihaben. Doch das Gesagte konnte auch nicht vollkommen ohne Antwort bleiben. Es war die Reihe an mir, zu zeigen, daß ich meine Begeisterung nicht verloren hatte.
    »Ich kann dir vielleicht den Gefallen tun. Die Saison geht eigentlich zu Ende. Aber wenn es mir gelingt …«
    Er hatte mich schon verstanden, und als er in jugendlicher Weise meine weiteren Ausführungen abschnitt, zeigte sich in seinem durch die Jahre gezeichneten Gesicht noch einmal, wie schön manche Kontraste sein konnten.
    »Kannst du das? … Toll, Mensch! … Schau, ich verfolge alle Spiele intensiv. Diese Woche haben wir ein Auswärtsspiel. Was für ein Spiel danach kommt, habe ich jetzt nicht im Kopf. Aber egal, was das für ein Spiel ist, Bruder! … Es genügt mir, wenn ich die Atmosphäre erlebe! …«
    Für eine Weile konnte ich unser anderes Gespräch vergessen. Auch mich packte die Liebe zum Fußball. Zudem spürte ich, ich würde hier Anhaltspunkte finden können, ihn besser zu verstehen. Eine Frage konnte mich zu einem dieser Anhaltspunkte führen.
    »Gehst du dort nicht zu Fußballspielen?«
    Es war weiterhin spannend. Wir waren mitten im Thema.
    »Was redest du denn! … Ich bin inzwischen Fan von einem weiteren Verein. Maccabi Hayfa! … Die Grünen! … Ich gehe zu jedem Spiel von denen! Weißt du, wovon ich manchmal träume? … Daß bei den Europa-Kämpfen Fener und Maccabi Hayfa aufeinandertreffen! … Sogar … Laß uns mal einen großen Traum weiterspinnen, in einem Finalspiel! Weißt du, warum? … Weil Maccabi für jedes Spiel in Europa spezielle Erinnerungsschals herausbringt. Zur Hälfte in unseren Vereinsfarben, zur anderen Hälfte in denen des Gegners. Kannst du dir das vorstellen, einen Schal von Fener und Maccabi! … Dann wäre ich glückselig, Mann! … Den würde ich mir um den Hals wickeln und so durch die Straßen spazieren! …«
    Was für ein erstaunliches Detail war das doch, wie lebensvoll … Ich fragte ihn nicht, welchen Verein er bei so einer ›Begegnung‹ unterstützen würde, konnte ihn nicht fragen, wollte es vielmehr nicht. Er würde für den Verein die Daumen drücken, den er am liebsten hatte. Wir beide konnten nicht wissen, wohin sich das Herz in jenem Augenblick neigte. Außerdem war sowieso der Schal das wichtigste, das, was wirklich wert war, erträumt zu werden. Jener Schal erzählte. Er erzählte von dem, was er dort erlebt hatte, von dem Istanbul in ihm, was er warum miteinander versöhnen, zusammenbringen wollte, was er nicht

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