Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach
woran diese Fragen erinnerten; wichtig waren die Menschen, die uns riefen, vielmehr die Spiegel. In diesem Spiegel gab es womöglich Niso, der zeigte, daß er nicht so leicht verwand, verlassen zu werden, und auch ein Trauma, das mit dem Schleier der Vergangenheit zugedeckt werden sollte und das wohl deutlicher gezeigt hätte, warum Ora diesen Betrug so sehr aufgebauscht hatte. Und es gab Şelis in den Niederlagen ihrer Vergangenheit begründete, stets zu spürende Rachsucht, die nicht an die Oberfläche getreten war und trotzdem viele ihrer Beziehungen beeinflußt hatte … Ich überlegte zwischendrin auch, ob Şeli und Niso sich nach diesem Vorfall nochmals begegnet waren. Und wenn ja, was hatten sie gesprochen, von wo aus und wie hatten sie sich gegenseitig angeschaut? … Die Antwort konnte ich mir auf meine Art geben oder von ihnen geben lassen. Doch als ich mich gerade in diese Gedanken vertieft hatte, zog er mich durch seine Worte wieder zu einem anderen Punkt hin. So fand ich auch keine Gelegenheit zu sagen, daß ich dieses Zusammensein, das trotz aller Möglichkeiten von so kurzer Dauer gewesen war und doch sichtlich ein Leben im Tiefsten erschüttert hatte, in so ein Leben nirgends einordnen konnte und für sehr unpassend und überflüssig hielt. Ich wollte ihm sagen, um ihn ein wenig zu necken, wenn diese Beziehung in einem Roman erzählt würde, käme sie mir unglaubwürdig vor, doch leider, was sollte man machen, sei das Leben manchmal ein größerer Quatsch als jeder Roman. Aber auch das konnte ich ihm nicht sagen. Denn der Punkt, auf den ich nun zurückverwiesen wurde, war dieses Mal sehr berührend und leider sehr überzeugend.
»Nach Ora habe ich keine ernsthafte Beziehung mehr erlebt … Ich bin mal hier, mal dort hängengeblieben … Schließlich hatte ich gar nichts mehr … Ich habe keine Familie gründen können wie du … Ich hoffe, du weißt zu schätzen, was du hast …«
Ganz sicher tat er sich selbst unrecht. Ich kannte nämlich eine Reihe Leute, die auf sein Leben mit Neid, ja Eifersucht blicken würden, trotz aller Rückschläge, Abbrüche, Irrtümer … Mehr noch, auch ich hätte beim Anhören der Erzählung einen Platz in einem der Bilder einnehmen mögen. Auch als ich Necmis Geschichte hörte, hatte ich so ein Gefühl gehabt. Doch es kam mir bemerkenswert vor, daß beide das Bedürfnis gehabt hatten, an einem Punkt ihrer Erzählung mir fast denselben Mangel mitzuteilen. War es etwa derart wichtig, eine Familie zu gründen? Das hieß, wenn man keine gründete, wurde das wichtig … Ja, da gab es eine Enttäuschung, eine große Enttäuschung gegenüber dem Leben. Ich sagte ihm, was ich empfand. Er solle nicht ungerecht sein, er habe eine bewundernswerte Lebensgeschichte erlebt; so ähnlich wie ich zu Necmi gesprochen hatte …
Dann übernahm ich die Führung des Gesprächs. Es war an der Zeit. Ich erzählte die Geschichte von Necmi, soweit ich sie kannte. Danach erzählte ich natürlich auch von Şebnem, und zwar das, worüber ich sprechen konnte, ich erzählte von Yorgos und von Şeli … Er hörte auf seine Weise zu, indem er sich über das Gehörte manchmal ein wenig lustig machte, doch mehr noch mit Entrüstung oder Begeisterung … Damit verbrachten wir fast zwei Stunden. Dann erhoben wir uns zu einem langen Spaziergang an der Küste entlang. Wir schwiegen ein wenig, und dann wieder machten wir ein paar Bemerkungen zu den gehörten Geschichten. Wir waren voll mit Gefühlen … Es wurde Abend … Er fragte, ob wir uns in ein Restaurant setzen und weiterreden sollten. In dem Moment spürte ich, er wollte sehr gerne, daß ich bliebe. Das wollte ich auch. Unverzüglich rief ich Çela an und sagte ihr, daß ich später käme. Weil sie das sowieso geahnt hatte, hatte sie sich mit ihren Freundinnen etwas vorgenommen. Wir würden uns also dann später zu Hause treffen … Diese Worte konnte ich wieder auffassen, wie ich wollte. Als kleinen Vorwurf oder als ihre Weise, sich als verständnisvolle Frau darzustellen … Niso schaute mir lächelnd zu. Als er sah, daß ich das Gespräch beendet hatte, sagte er, ich hätte eine gute Frau. Nicht jede Frau reagiere so verständnisvoll, wenn sie an einem Samstagabend im letzten Moment allein gelassen würde. Ja, meine Frau war eine gute Frau, daran hatte ich keinen Zweifel. Aber nach so vielen Ehejahren konnten wir ja auch gar nicht anders. Als er hörte, wie ich meine Ehe betrachtete, fragte er plötzlich, ob während der langen Zeit eine andere
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