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Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Titel: Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Levi
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sagte mir jedoch, daß man im Lauf der Zeit das Gefühl der Niederlage überwinden, manche Schmerzen leichter ertragen konnte, die aus einer Unzulänglichkeit aufgrund verpaßter Gelegenheiten oder irrtümlicher Verfehlungen herrührten … Daß Ängste, die uns daran hinderten, manche Menschen, Orte wieder zu erleben, mit der Zeit auch ausgelöscht werden konnten und ebenso das, was man sich falsch gemerkt hatte … Ich hatte solche mörderischen Befreiungsschläge erlebt. Und auch, wie manche mörderische Aktion Menschen frei gemacht hatte … Jene Mauern konnten auch langsam eingerissen werden, es konnten zumindest Breschen entstehen. Auf dem Weg zur Schule fühlte ich das Bedürfnis, mich an diese Möglichkeit zu klammern. Was ich auf dem Weg gesehen und woran das Gesehene mich erinnert hatte, gab mir Zuversicht. Es war auch wirklich nicht allzu schwer.
    Die Eisentür am Eingang war geschlossen. Ich läutete. Ein Wachmann trat mir gegenüber. Es war einer von jenen Angestellten, die ihre Existenz oder zumindest ihren beruflichen Erfolg darauf gründen, daß sie ihrem Gegenüber vermitteln, an ihnen komme keiner vorbei. Ich sagte, ich sei ein ehemaliger Absolvent der Schule und wolle den Direktor in einer persönlichen Angelegenheit sprechen, wobei ich so tat, als respektierte ich sein Verhalten, seine Rolle. Er spielte seine Rolle tatsächlich gut. Er rief die Sekretärin des Direktors an und schilderte den Sachverhalt. Soviel ich verstand, zog er aus der Antwort den Schluß, ich sei kein gefährlicher Mensch. Er sagte, ich könne hereinkommen, und ich trat ein. Das Schulgebäude lag vor mir. Ich war im Schulgarten. In einem der Gärten meiner Kindheit … So viele Bilder und Stimmen vermischten sich … Dann betrat ich das Gebäude. Dieses Mal fragte ich einen anderen Angestellten nach dem Direktorat. Ich erhielt die gewünschte Auskunft. Das Direktorat war woanders als früher. Ich trat ein. Eine charmant und gepflegt aussehende Frau in den Vierzigern begrüßte mich und bot mir einen Platz an. Ihre Bewegungen waren gemessen und geschult. Sie schien sich zu bemühen, höflich zu erscheinen, und sagte, es freue sie, einen früheren Absolventen empfangen zu dürfen. Was immer das für eine Freude sein mochte … In welchem Jahr ich denn abgeschlossen habe? … Was ich denn tue? … Ich beantwortete ihre Fragen möglichst knapp, wobei ich mich bemühte, ruhig zu bleiben. Offensichtlich mußte ich mich einem kurzen Verhör unterziehen. Als ich schon anfing, mich unbehaglich zu fühlen, fragte sie mit dieser Höflichkeit, die mir mit jedem Moment heuchlerischer erschien, wie sie mir helfen könne. »Wie kann ich Ihnen helfen?« Diese aus dem Englischen übernommene Frage zeigte, wie weit entfernt von Aufrichtigkeit sogar die von ihr benutzte Sprache war. Ehrlich gesagt hätte ich Fragen wie: Warum sind Sie gekommen? Was wollen Sie? vorgezogen, auch wenn sie weniger höflich erschienen wären. Denn eigentlich war es das, was sie wissen wollte. Ich nahm es nicht wichtig und versuchte meine Beherrschung zu bewahren, erklärte lediglich, ich hätte mich ziemlich lange mit dem Entwurf zu einem Theaterstück beschäftigt und wolle in diesem Stück zusammen mit anderen früheren Absolventen auftreten. Dabei versäumte ich nicht zu erwähnen, daß das Stück vor Jahren auf der Bühne dieser Schule aufgeführt worden sei … Die Details würde ich gerne mit dem Direktor besprechen, wenn es möglich wäre. So ein Verhalten stoppte Menschen in ihrer Position gemeinhin. Und so war es auch. Sie signalisierte durch Blicke, daß sie verstanden hatte, erhob sich und öffnete sofort die Tür hinter sich, um in ein weiteres Zimmer zu gehen. Nach fünfzehn bis zwanzig Sekunden kehrte sie zurück und sagte lächelnd unter der Tür, ich könne eintreten … Auch ich lächelte. Obwohl ich wußte, Lächeln verbarg in solchen Situationen absichtlich viele nicht ausgedrückte Gefühle … Als ich eintrat, begegnete ich unverhofft, ganz unerwartet einem sehr viel schlichteren, doch freundlichen Mann, der, was wichtiger war, die Höflichkeit nicht spielte, sondern in Benehmen und Sprache vom ersten Augenblick an den Eindruck eines äußerst höflichen Menschen machte. Ja, dieses Mal war die Höflichkeit echt, die mir begegnete. Ich wußte nicht, ob die Höflichkeit des Mannes wohl aus einer aufrichtigen Schlichtheit resultierte. So zu beginnen war gut und erweckte Hoffnung. Wahrscheinlich war dies das eigentlich Wichtige. Das Zimmer war sehr

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