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Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Titel: Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Levi
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gingen zusammen zum Anleger, ohne viel zu sprechen. Er gab mir die Telefonnummer des Hauses, wo er wohnte. Unter dieser Nummer konnte ich ihn erreichen. Er würde mich sowie häufig anrufen. Ich solle auch das Fußballspiel im Stadion von Fenerbahçe nicht vergessen … So trennten wir uns.
    Ja, ich hatte jene ›Insel‹ mit vielen Erinnerungen in meinem Gedächtnis gespeichert. Mit vielen Erinnerungen, an die ich gar nicht so gerne zurückdachte … Doch diese Erinnerung, das wußte ich, würde ich an einem ganz anderen Platz aufbewahren. An einem ganz anderen und sehr beeindruckenden Platz … Denn in dieser Erinnerung lagerten die Bilder einer Geschichte, die lang und tief in unser Inneres herabreichte … Die Nacht war ruhig und ein wenig kalt. Auf dem Achterdeck des Dampfers befanden sich nur vier Personen. Auch sie fuhren zu dieser Nachtstunde von wer weiß woher wer weiß wohin … Wir hatten uns alle weit entfernt voneinander hingesetzt … Ich lauschte auf die Stimme des Windes und versuchte noch einmal, den Geruch des Meeres einzusaugen … Auch die Schaumschleppe des Schiffes trug mich weit fort, ebenso wie die zitternden nächtlichen Lichter in den Häusern an der Küste … Ich war in Istanbul … In der Stadt, wo ich immer gewesen war und immer bleiben wollte … Zu sterben war nun derart schwer geworden …

Wie klein war doch mein alter Garten
    Nach jenem langen Samstag und der darauffolgenden Nacht verbrachte ich einen sehr ruhigen Sonntag. Ich fuhr zusammen mit Çela nach Ortaköy, wo wir zu Mittag aßen. Ich erzählte ihr von Niso, wobei ich freilich die Aspekte der Geschichte verschwieg, die ich für mich behalten wollte. Wir sprachen auch ein wenig über die anderen Protagonisten des ›Spiels‹. In jeder Erzählung mußte ich in andere Tiefen vordringen und sie erneut betrachten. Ich beklagte mich nicht. Außerdem hatte ich mich ja absichtlich auf diesen Weg gemacht. Hätte ich es lieber anders gehabt, dann wäre die Zeitreise, um mein ›Jetzt‹ neu zu erschaffen, sinnlos gewesen. Diese Reise war trotz aller Erschütterungen immerhin ein Anfang, das wußte ich. Nur ein Anfang … Ich war gerade erst zum wirklich schwierigen Teil gelangt. Ich mußte nun die Protagonisten des ›Spiels‹ auf eine Bühne bringen, sie zumindest auf einer Bühne versammeln können, sie zusammenführen. Ich hatte angefangen, ich würde weitermachen. Ich würde diese Schritte unternehmen, wen oder was immer diese Bühne jemandem und insbesondere mir zeigen würde. Dieses Mal würde ich furchtlos vorgehen. Doch dafür mußte ich mir einen Weg zurechtlegen. Was sollte ich tun? … Konnte ich diese Begegnung nicht bewerkstelligen, während Niso in Istanbul war? … Mit Yorgos hatte ich nur einmal telefoniert, und wir hatten uns lange Briefe geschrieben. Necmi würde sowieso zurückkehren. Şeli konnte jederzeit kommen. Aber Şebnem? … Konnte sie kommen, würde sie eines Tages kommen können? … Auf diese Frage gab es keine Antwort, noch nicht. Notfalls … Notfalls konnten wir zu ihr hingehen … Alle gemeinsam … Um unserer alten Tage willen … Um der ›Schauspieltruppe‹ willen …
    Bei jenem Mittagessen sprach ich mit Çela über meinen Traum, dieses Treffen zu arrangieren, und von den Möglichkeiten, an die ich dachte … Wir würden tun, was wir konnten … Auch sie wollte mich bei meinem Traum unterstützen … Dafür stünde unser Haus jederzeit offen … Vielleicht konnten wir alle zu einem Abend einladen, etwa in einem Monat … Dieser Satz formulierte eine Hoffnung, die uns alle mehr mit dem Leben verband. Ich wollte mich an eine Hoffnung klammern. Aus ganzem Herzen … Um der vergangenen und zukünftigen Tage willen, von denen ich nicht wußte, wie lange sie dauern würden …
    Diese Hoffnung ließ mich einen weiteren Schritt tun. So ging ich am nächsten Tag seit Jahren erstmals wieder in meine alte Schule. Wegen der ›Aufführung‹ mußte ich eine solche Rückkehr erleben, sie wagen. Diese Notwendigkeit verstörte mich nicht wenig. Denn ich war von dort trotz all dieser Freundschaften nicht gerade mit angenehmen Erinnerungen geschieden. Dies galt auch für die anderen Mitglieder der ›Truppe‹. Wir alle hatten dort unsere Enttäuschungen, unsere Wut, ja sogar unseren Haß erlebt. Es erwartete sie eine Bühne, auf der die Begegnungen Geschichten von Trennung, das Gelebte und auch das Ungelebte zwangsläufig heraufbeschworen. Würden sie diese Bühne betreten wollen? … Meine Lebenserfahrung

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