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Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Titel: Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Levi
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der Schule gewesen war und was ich gesehen und gefühlt hatte. Beim Zuhören sparte er nicht mit Kommentaren und stellenweise mit den Flüchen, die so gut zu ihm paßten. Ich sagte, daß ich den Theatersalon organisiert hätte. Er freute sich sehr und sah keinen Grund, zu dem von mir angepeilten Termin nicht zu kommen. Zu der Zeit wäre er zurück. Darauf sagte ich ihm, daß er sich mit Niso treffen könne. Aufgeregt fragte er, wie ich ihn gefunden habe. Doch was ich mit Şebnem erlebt hatte, konnte ich nicht erzählen. Wir mußten das Gespräch beenden. Er war gerade in Kapadokien mit einer Gruppe beim Mittagessen. Länger konnte er das Gespräch nicht ausdehnen. Alles andere konnten wir sowieso später besprechen, das war nicht so wichtig. Wirklich wichtig war, daß ich ihn immer an meiner Seite fühlte. Deswegen reichte mir völlig, was ich in dem kurzen Gespräch gehört hatte.
    Ich hatte die Sache an der einfachsten Stelle angepackt und keinerlei Probleme gehabt. Ich mußte etwas mutiger werden. Deswegen rief ich Şeli an. Sie sagte mit der übertriebenen Freude, an die ich mich inzwischen gewöhnt hatte, sie werde auf jeden Fall kommen und sei schon jetzt aufgeregt. Auch dieses Gespräch dauerte nicht lange. Ich konnte nicht anders, als mich zu fragen, was sie wohl in den Augenblicken nach Beendigung des Gesprächs fühlen mochte. Würde sich ihre Begeisterung im Lauf der Tage in eine echtere Begeisterung verwandeln? … Als wir über Yorgos sprachen, hatte ich den Eindruck, daß sie das, was sie dort in weit entfernter Vergangenheit zurückgelassen hatte, nicht mehr betrauerte. War das wirklich so? … Oder war ein weiteres Mal ein tiefes Leid mit Schmerzen aus anderen Kämpfen zugedeckt worden? … Ich wußte es nicht. Ich wußte nur, daß ich jene Liebesgeschichte bewundert und spannend gefunden hatte und sie in meinem Leben an einen bedeutsamen und unvergeßlichen Platz gerückt hatte. Die Bilder kehrten ein weiteres Mal zurück. Und damit auch die Überzeugung, daß wir das, was wir erleben konnten, zusammen mit dem, was wir zu verlieren gelernt hatten, erleben würden und einander erleben lassen sollten … Ebenso die heimliche Lust, die aus dem Schmerz geboren wurde, wenn man wußte, daß die Bindung an den Zauber von Wahrscheinlichkeiten gleichbedeutend war mit der Bindung ans Leben …
    In dieser Situation mußte ich unbedingt Yorgos anrufen. Ich hatte noch immer keine Antwort von ihm. Außerdem mußte ich auf jede Antwort, die kommen konnte, gefaßt sein. Diese Tatsache erhöhte unwillkürlich meine Spannung. Deshalb drückte ich die Tasten, die mich mit ihm verbinden sollten, mit ständig wachsender Angst und Aufregung. Ich wartete, dieses Mal wartete ich sehr lange. Dann hörte ich wieder die warme Stimme des Freundes. Er fragte mich, wie es mir ginge. Nur sprach er sehr leise. Die Erklärung dafür gab er ohne Umschweife. Er war in der Probe eines seiner Stücke, er konnte das Gespräch nicht lange ausdehnen. Doch am Abend würde er anrufen. Dann würden wir die nötige Zeit finden. Mir blieb nichts anderes übrig, als zu sagen, ich würde warten. Um ihn zum Anrufen zu drängen, hätte ich ihm in Kürze die neuesten Entwicklungen mitteilen können, doch es war besser, abzubrechen und sich nicht egoistisch zu verhalten. Ich konnte ihn nicht mitten in so einer Arbeit stören. Immerhin wußte ich, daß er anrufen würde. Wir beendeten das Telefongespräch. Es gab Sicherheit, ihn gesprochen und die Sympathie in seiner Stimme gehört zu haben, dennoch war jene Spannung nicht von mir gewichen. Um die Spannung überwinden zu können, mußte ich den Abend und seinen Anruf abwarten … Mir war bewußt, daß dies ein Problem war, das ich beherrschen, bewältigen mußte. Ich konnte irgendwie nicht vergessen, daß Yorgos möglicherweise im letzten Moment ausscherte. So verging der Tag. Ich tat alles, um die Zeit totzuschlagen. Ich ging ins Internet auf diverse alberne Seiten, eingeschlossen Pornoseiten, und las sogar die in schlechtem Türkisch verfaßten Glossen der aufgeblasenen Zeitungskommentatoren, die eine Menge Geld verdienten, weil man das, was sie sagten, aus einem unerfindlichen Grund sehr wichtig fand. Endlich wurde es dann auch für mich Abend, und ich kehrte nach Hause zurück. Meine Aufregung entging Çela natürlich nicht. Wir setzten uns zum Essen, und ich versuchte zu erzählen, was ich fühlte. Sie versuchte, wie sie es schon oft getan hatte, mich zu ermutigen und zu beruhigen. Ihre Ahnungen

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