Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach
Begeisterung an die Wand ihres Zimmers gehängt hatte. Vielleicht saß sie jetzt auch dort. In dem Augenblick sah ich, daß auch sie ganz aufrichtig an meiner Begeisterung für diese Geschichte teilnahmen. Diese Erkenntnis war sehr verbindend und tröstlich. Ermutigt von diesen Gefühlen, brachte ich meinen Vorschlag vor. Ob ich Şebnem wohl in ein paar Wochen an einem Abend zu mir nach Hause mitnehmen könne? … Wir würden mit alten, sehr nahen Freunden, die wir seit Jahren nicht gesehen hatten, zusammentreffen. Ich glaubte, wir könnten die Entfremdung, die im Verlauf der Jahre zwischen uns entstanden sei, durch die Nähe auslöschen, die wir füreinander fühlten. Was Şebnem sehen würde, fühlen würde, konnte dazu beitragen, die Brücke der Rückkehr, an die zu glauben ich nicht aufgab, mit anderen Steinen neu zu erbauen. Einige Steine waren ja schon eingesetzt worden, das wußte ich. Das, was ich bei unserer letzten Begegnung erlebt hatte, hatte mir ermöglicht, diese Steine an einen Platz zu tun, wo ich sie sehen, beziehungsweise keinesfalls mehr verlieren konnte. Sie hatten selbstverständlich nicht vergessen, was passiert war. Die Oberschwester schaute den Arzt an, als wollte sie sagen, sie wüßte nichts zu bemerken. Jetzt war er am Ball, er allein konnte die Entscheidung treffen. Dieses Mal war die Antwort nicht wie erwartet. Jedenfalls nicht so ermutigend, wie ich erwartet hatte. Das ginge nicht. Solche Kranken bekamen keine Erlaubnis, das Krankenhaus zu verlassen, solange sie nicht Anzeichen einer wesentlichen, aufzeichnenswerten Besserung gezeigt hätten. Doch ich gab natürlich nicht gleich auf. Ich war entschlossen, meine Überzeugungsfähigkeit bis zum letzten einzusetzen. Zuerst erinnerte ich daran, daß sowieso schon ein Fortschritt zu sehen gewesen sei. Obwohl ich wisse, daß dieser Fortschritt nicht ausreichend sei, um die Bedingung zu erfüllen … Die Antwort, die ich erhielt, unterstrich das, was ich selbst wußte. Man müsse noch ein wenig mehr arbeiten, geduldig sein. Aber das hieß auch, die Tür war nicht gänzlich verschlossen. Ich zog aus diesen Worten diesen Schluß, vielleicht deshalb, weil ich einen solchen Schluß ziehen wollte, ich zog ihn einfach. Auch dieses Mal schöpfte ich Mut aus dieser Möglichkeit und sagte, daß ich aus ganzem Herzen glaubte, bis dahin, bis zu dem Tag der Einladung, würde eine solche Entwicklung stattfinden. Ich wagte sozusagen einen Wettlauf mit der Zeit. Beispielsweise könnten wir Şebnem sofort besuchen gehen, ohne weiteren Zeitverlust. Ja, das konnten wir, zumindest hatte er dagegen keinen Einwand. Wir standen auf. Um zuerst in ihr Zimmer zu schauen … Sie war dort. Sie saß auf ihrem Bett oder dort, wo ich ihr Bett vermutete. Denn ich hatte ihr Zimmer vorher noch nie betreten können. Ich hatte ihr Zimmer vorher noch nie betreten können … Dieser Satz hatte eine dermaßen große Bedeutung für mich … Sie hatte auf dem Bett, auf dem sie saß, einige Kleidungsstücke ausgebreitet. Wem gehörten diese Kleidungsstücke, aus welcher Zeit stammten sie? … Vielleicht würde die Zeit die Antwort auf diese Frage bringen. Im Schoß hielt sie eine alte, dunkle Strickweste. Es sah aus, als würde sie jeden Moment zu weinen anfangen. Ich setzte mich neben sie. Der Arzt setzte sich auf das gegenüberliegende Bett. Schon beim Betreten des Zimmers hatte ich das Bild gesehen. Am entferntesten Ende des Weges, dort, wo sie den Pinsel aufgesetzt hatte, war ein roter Fleck. Wie ein Blutfleck. Ein Blutfleck, der von wer weiß woher kam und irgendwohin floß … Sie schien unser Kommen nicht wahrgenommen zu haben. Entschlossen, nur etwas unsicher, wobei ich diese Unsicherheit aber möglichst zu verbergen versuchte, begann ich, ihre Haare zu streicheln, gestärkt durch die Liebe, die ich zu ihr empfand. Genau so, wie ich sie vor Jahren, vor vielen langen Jahren, auf jener Bank gestreichelt hatte … Dieses Bild verfolgte mich sowieso immer … Und genau in diesem Moment … In diesem Moment zeigte sie eine Reaktion, die uns beide sehr erstaunte. Sie näherte sich mir und lehnte ihren Kopf an meine Schulter, wobei sie die Weste in ihrem Schoß noch fester hielt. Ich regte mich nicht und schaute Zafer Bey an. Er lächelte. Danach sah ich, wie mich auch Şebnem anlächelte. Ihre Blicke waren noch immer sehr fern und aus diesem Grund immer noch ein wenig beängstigend, doch schienen sie einen Abglanz von Liebe zu tragen. Auch ich lächelte und hoffte, meine
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