Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach
währte nicht allzulange. Wieder war sie es, die den ersten Schritt tat. Ihre Stimme und ihre Worte drückten deutlich ihr Gefühl der Geborgenheit aus:
»Es ist gut, daß es dich gibt …«
Wenn man versucht hätte, in die Tiefe dieser sehr simplen Worte hinabzusteigen, hätte sich ein Aspekt unseres Lebens in aller Klarheit ausgedrückt. Doch in diesem Augenblick hatte ich nicht die Kraft, in diese Tiefen hinabzusteigen. Ich wollte schlafen, nichts als schlafen und mich auf den nächsten Tag vorbereiten. Der beste Weg, ein mögliches Gespräch abzuschneiden, war, ihr zu geben, was sie verlangte. Die Worte lagen sowieso längst bereit.
»Es ist auch gut, daß es dich gibt …«
Sie streichelte meine Brust. Ich vermutete, sie wußte selber, daß es besser war, nicht weiter zu gehen.
»Komm, laß uns endlich schlafen … Du bist furchtbar müde …«
Ich nickte wieder stumm. War diese Antwort genug? … Ich wußte, für mich war sie nicht genug. Doch in dem Moment wollte ich ihr nur meine Müdigkeit mitteilen. Es würde mich Stunden kosten, zu erzählen, alles zu erzählen, was notwendig war. Eines Tages würde ich es ihr vielleicht erzählen. Doch die Zeit jetzt war keine gemeinsame, sondern gehörte zu den einsamen Zeiten einer Ehe. Und wie war es für sie? … Ich wollte mich von der komplizierten Wirklichkeit dieser Frage ebenfalls fernhalten. Es war, als sähe sie die von mir schweigend gegebene Antwort jedenfalls im Moment für ausreichend an. Sie streichelte wieder meine Brust, wandte sich friedlich von mir ab, drehte mir den Rücken zu, nahm die Embryohaltung ein, indem sie mit ihren Hüften mein Bein berührte, und begann zu schlafen. Auch ich drehte ihr den Rücken zu und nahm dieselbe Haltung ein. Seit Jahren schliefen wir in dieser Weise. Indem wir einander den Rücken zukehrten. Ohne diese Situation als Problem anzusehen. In jener Nacht dachte ich vor dem Einschlafen auch über diesen unseren Anblick nach. Es gab Menschen, die in dieser Art zu schlafen eine Entfremdung, eine Form von Beziehungslosigkeit vermuten würden. War es das wirklich? … Verrieten wir uns durch diese Art des Schlafens? Vielleicht suchten wir unsere kleinen Freiräume. Jeder hatte schließlich das Recht, so zu schlafen, wie er wollte. Außerdem stellte man nach so vielen Jahren des Zusammenlebens manche Fragen nicht oder wollte sie nicht stellen. Dennoch war es interessant, warum ich unsere Art zu schlafen nie problematisiert hatte. Es war mir egal. Wir hatten ja gelernt, mit vielen Tatsachen zu leben, die wir lieber nicht diskutieren wollten …
Vor dem Einschlafen hatte ich mir Sorgen gemacht, ob ich wegen all meiner Erlebnisse nicht dauernd wieder aufwachen würde. Doch meine Befürchtung bewahrheitete sich nicht. Als ich die Augen wieder öffnete, bemerkte ich, daß gerade ein neuer Tag graute. Ich hatte geträumt. Ich war von vielen beunruhigenden Bildern und Stimmen umgeben gewesen, doch was ich sah, verschwand hinter einem dichten Nebelschleier, als versänke es in den Wassern eines Landes, das nicht mehr wiederkam. Es blieb lediglich ein Gefühl zurück.
Ich stand auf und ging unter die Dusche. Das war eins der kleinen Rituale am Tagesanfang. Ich versuchte es zu genießen. Indem ich daran dachte, was ich erleben würde und wohin ich gehen würde … Dann verließ ich das Bad und setzte mich im Bademantel ein wenig in den Salon. Ein neuer Tag brachte neue Möglichkeiten. Ich schloß die Augen. Ich hatte mir angewöhnt, vor allen anderen aufzustehen und der Stille des Hauses eine Weile zu lauschen. Rein äußerlich gab es nichts Besonderes. Doch ich wußte, daß dieser Morgen anders war, ein bißchen anders. Niemand im Hause ahnte, was ich innerlich durchmachte. Doch diese Einsamkeit hatte ihren eigenen Reiz. Insbesondere zu so einer Zeit, an so einem Wendepunkt … Vielleicht entstand aus der Ausweglosigkeit und dem Einverstandensein mit dem Tod eine neue Hoffnung … Eine kleine Hoffnung, von der ich nicht wußte, in welche Regionen sie mich führen würde … Mit diesem Gefühl zog ich mich an. Dann machte ich mir Frühstück. Auch darin lag nichts Besonderes. Es gehörte zu meinen Gewohnheiten, allein zu frühstücken. Ich kochte mir Kaffee. Im Kühlschrank waren Oliven, ungarische Salami mit Pistazien, Anchovispaste und Schnittkäse. Auf dem Küchenbüfett standen Erdbeer- und Aprikosenmarmelade. Das war mehr als genügend Auswahl für ein gutes Frühstück. Alles war zudem mit vielen Assoziationen und
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