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Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Titel: Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Levi
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dem, was ich erlebt, gehört hatte, ablenken. Sie saß am PC . Auch sie lächelte. Sie stand nicht auf und schrieb weiter. Sie wußte, was ich gleich tun würde. Ich näherte mich, umarmte sie von hinten und drückte ihr einen dicken Kuß auf die Wange. Mit einem Ausdruck, als wollte sie zeigen, daß zu viele Küsse sie störten, entzog sie sich, wobei sie nicht versäumte, leise zu kichern. Seit etwa zwei Jahren erlebten wir ähnliche Szenen. Das war ein neues, kleines Spiel der Liebe zwischen uns. Zumindest ich wollte unserer Beziehung so eine Tönung geben. Obwohl ich merkte, daß sie sich gestört fühlte, beugte ich mich auf dieselbe spielerische Weise leicht vor und tat so, als schaute ich auf ihren Bildschirm. Lächelnd, aber mit einem leicht beschämten Gesichtsausdruck versuchte sie, mit der Hand das Geschriebene zu verdecken. Ich ließ mir die Gelegenheit nicht entgehen.
    »Aha, du bist wohl beim Chatten … Laß mal sehen …«
    Ihre Reaktion zeigte, daß sie einerseits die Absicht zu haben schien, das Spiel fortzusetzen, und andererseits klarzumachen, welches Problem sie an diesem Abend während meiner Abwesenheit gehabt hatte. Sie formulierte ihre Beschwerde indirekt.
    »Ah, Papa! … Hast du nichts anderes zu tun? … Mama hat weiße Bohnen mit Spinat gekocht. Das magst du doch so gerne. Geh halt …«
    Ich hatte mich nicht geirrt. Der Unfriede hatte sich mal wieder am Geplänkel über das Essen entzündet. Dieses war zweifellos nur ein Vorwand für einen Zank gewesen. Hinter vielen häuslichen Streitigkeiten verstecken sich ja diverse Gründe und Szenarien, mit denen man sich nicht immer direkt auseinandersetzen will … Ich ging nicht darauf ein. Ich wollte mich auch nicht länger damit befassen, daß sie sich womöglich übergangen, ausgeschlossen fühlte, wenn es so ein Essen gab. Ich hatte keine Lust, über solche Einzelheiten nachzudenken. Doch sie hatte recht. Ich selbst mochte weiße Bohnen mit Spinat wirklich sehr gerne. Und Çela bereitete dieses Gericht tatsächlich gut zu. Schließlich hatte ihre Mutter sie zu einer guten jüdischen Tochter erzogen. Ich lächelte. Doch zugleich tat ich so, als sei ich ein wenig ärgerlich, enttäuscht. Und sie tat so, als schämte sie sich ein wenig … Reichten diese kleinen Spiele ihr wohl? … Ich glaube nein. Doch ich wußte, wir würden heute abend nicht über ihr Problem sprechen können. So stand ich mit einem harmlosen Gesichtsausdruck auf und näherte mich langsam der Tür. Um das Spiel fortzusetzen, beschränkte ich mich lediglich auf die Worte:
    »Wenn es erlaubt ist, gehe ich … Wünsch mir guten Appetit!«
    Als ich gerade die Tür öffnen wollte, rief sie. In ihrer Stimme schwang mit, daß die Frage für sie sehr wichtig war:
    »Worauf kommt es dir bei Beziehungen am meisten an?«
    In meinem Geist wurde plötzlich das Bild Şebnems lebendig. Der Platz auf der Bank im Krankenhausgarten, wo wir gesessen hatten … Und die Nacht vor vielen Jahren … Mir fiel nur eine einzige Antwort ein.
    »Auf die Stimme der Gefühle zu hören …«
    War das wirklich so? … Hatte ich wieder nicht gesagt, was war, sondern was sein sollte? … Ich hatte die Antwort mit Blick auf Justin Timberlake gegeben, dessen Poster in voller Größe an der Tür klebte und dessen Musik sie aus einem mir unerfindlichen Grund liebte. Ich konnte nicht verhindern, daß sich meine Augen mit Tränen füllten. Um ihre Reaktion zu sehen, drehte ich mich ihr wieder zu. Natürlich sah sie meine Bewegtheit, vielleicht war sie auch wegen der unerwarteten Antwort erstaunt und berührt. Ich hatte mich dieses Mal nicht zu verstecken versucht. Ihr Gesicht schien zu schwanken zwischen Lächeln und Ernstwerden. Sie fragte, ob etwas mit mir los sei. In dem Moment hätte ich am liebsten hier in diesem Zimmer all das erzählt, was ich während des Tages erlebt und was dies in mir ausgelöst hatte. Doch ich konnte nicht. Ich sagte, mir sei ein alter Freund eingefallen. Sie nickte, biß sich leicht auf die Lippen und versuchte zu lächeln. Spürte sie, daß ich log? … Dieser Augenblick würde sich vielleicht auf diese Weise in unser Leben eingraben. Nun gut, wir würden leben und dann, wie immer, weitersehen. Auch ich lächelte leicht und ging hinaus. Mit der bitteren Freude, an diese Möglichkeit zu glauben …
    Ich ging in die Küche. Wir hatten uns angewöhnt, in der Küche zu essen, wenn die Kinder nicht da waren. Auf dem Tisch standen außer den weißen Bohnen mit Spinat noch gebratene

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