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Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Titel: Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Levi
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vertrocknet war. Der eine war ziemlich dick und hatte zehn Farben. Er stammte fast noch aus meiner Kindheit. So alt war er. Ein anderer Stift hatte eine durchsichtige Kapsel mit Wasser, auf dem ein Schiffchen schwamm. Wenn man den Stift auf und ab bewegte, schwamm das Schiff hin und her. Was für Träume hatte ich an dieses Hin und Her geknüpft! Ich probierte es aus: Das Schiff schwamm immer noch. Trotzdem war es nicht wie früher. Es war sehr weit fort, als habe es nur den Traum und die Erinnerungen zurückgelassen. Sein Zauber war längst zerstört. Dann kam eine kleine Glasglocke, die eine Hütte in sich einschloß. Ein Häuschen inmitten der Natur, das weitab von allem vielleicht eine kleine Familie oder eine alte Frau beherbergte und aussah wie aus einem Märchen. Wenn man die Halbkugel schüttelte, schneite es über der Hütte, und der Eindruck der Märchenhaftigkeit verstärkte sich noch. War es nicht unvermeidlich, daß bei diesem Anblick ein paar Phantasien erwachten? … Wer weiß, welch ein Haus ich ersehnt, welche nicht erlebte Wärme ich gesucht hatte … Ein Belichtungsmesser der Marke Voigtländer und ein Blitzlicht. Als ich eines Tages im Garten des Sommerhauses in Erenköy, das wir für die Ferien gemietet hatten, mit einer russischen Kamera Marke Lubitel ganz aufgeregt einen Vogel aufzunehmen versuchte, fiel ich hin. Zwar konnte ich den Fotoapparat retten, jedoch nicht verhindern, daß der Belichtungsmesser, der um meinen Hals hing, hart auf den Boden aufschlug und unbrauchbar wurde. Ich war sehr traurig. So traurig, daß ich die Wunden an Arm und Knie nicht mal bemerkte. Denn ich wußte sehr wohl, daß ich für diesen einfachen Belichtungsmesser keinen Ersatz bekommen würde. Mein Vater gab sich nicht zufrieden, ehe er mich für meine Unachtsamkeit nicht richtig bestraft hatte. Erst Jahre später konnte ich den Verlust ersetzen, als ich einen Fotoapparat mit eingebautem Belichtungsmesser erhielt. Das war dann eine Minolta … Zwar aus zweiter Hand, aber gut erhalten. Mein Vater hatte sie vor dem Hauptpostamt von einem senegalesischen Physikprofessor, der ihn auf französisch nach dem Weg gefragt hatte, gekauft. Der Tourist war mit dem Fahrrad auf Weltreise. Ermutigt durch das Interesse meines Vaters, erzählte er, er habe kein Geld mehr und müsse die Kamera verkaufen. Ich bin sicher, daß mein Vater die ›Ware‹ bei diesem Gelegenheitskauf billig erworben hatte. Natürlich hatte ich keine Ahnung, ob die Geschichte wahr war. Doch was ich hörte, machte mich sehr aufgeregt und zugleich unvermeidlich traurig. Ich versuchte mir den Mann vorzustellen. Wie betrübt er war, als er sich von dem Apparat trennte, wie entschlossen und eigensinnig er seine Reise fortsetzte … Daß er schon zu erschöpft gewesen sein mochte, um sein Geld richtig zu berechnen, oder vollkommen weltfremd. Daß er einfach nur eine Geschichte erfunden hatte, um einen Fotoapparat, den er nicht mehr brauchen konnte, den er vielleicht sogar gestohlen hatte, zu verkaufen – das fiel mir gar nicht ein. Diese Möglichkeiten hätten mir erst in späteren Jahren einfallen können, als ich erwachsen wurde – erwachsen zu sein glaubte – und meine Naivität immer mehr verlor, mich in einen weniger unbedachten Menschen verwandelte … Vielleicht hatte ich den Fotoapparat, der sich immer noch in meiner Sammlung, in meinem kleinen Museum, befand, wegen dieser Geschichte nicht weggegeben. Das Blitzlicht war noch interessanter. Es war ein kleines Blitzlicht, das aus Birnchen zum einmaligen Gebrauch bestand. Die Birnen waren teuer. Deswegen galt der Gebrauch des Blitzlichts für die damaligen Verhältnisse als großer Luxus. Doch sowohl das Geräusch nach der Entladung als auch der leichte Brandgeruch, der aus der Birne aufstieg, waren erlebenswert. In der Schublade befand sich noch ein kleiner Fotoapparat. Das war aber ein Schlüsselanhänger. In diesem befanden sich Fotografien, die irgendein Zimmer zeigten. Man mußte nur durch den Sucher gucken und auf den kleinen Auslöser drücken, um die Bilder weiterlaufen zu lassen. Für einen jungen Mann in der Pubertät waren hier höchst erregende, unerhörte ›erotische‹ Fotos zu sehen. Viel gewagter, nackter und erregender als die erotischen Fotos in den Zeitschriften, die wir gemeinsam mit Necmi gekauft hatten … Was hatten diese Fotos nicht alles ausgelöst … Ich hielt den Apparat ans Auge, um mir jene Fotos noch einmal anzuschauen. Ich drückte auf den Auslöser. Wieder hatte ich das

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