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Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Titel: Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Levi
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Fleischbällchen und eine große Schüssel Salat. Im Laufe der Jahre hatten wir auch die Gewohnheit entwickelt, uns beim Essen zu erzählen, was wir den Tag über getan hatten. Sonst hätten wir keinen Gesprächsstoff gefunden. An und für sich hätten wir ein Thema gehabt, über das wir bei der Gelegenheit lang und breit hätten sprechen können. Ihr war bewußt, in was für eine tiefe Schweigsamkeit mich das Verhalten von Nedi gestürzt hatte. Wie äußerst enttäuscht und wütend es mich gemacht hatte. Im Grunde war auch sie erschüttert. Sie hatte versucht, das Problem wieder anzuschneiden, um sowohl mich als auch sich selbst zu trösten. Mir war klar, daß sie nicht diskutieren, sondern Anteil nehmen wollte und Kraft bekommen, während es so aussah, als gäbe sie Kraft. Doch als sie merkte, daß ich lieber schwieg, machte sie nicht weiter. Denn sie wußte, wo und wann man aufzuhören hatte. Deshalb erzählte sie, was im Verein los gewesen war. Ich konnte nicht von meinem Tag erzählen, jedenfalls nicht an diesem Abend. Zuerst sagte ich, ich hätte einen normalen Tag erlebt. Ich hätte zwischen Zahlungen und Bankgeschäften sogar Zeit für ein paar Partien tavla gefunden. Diese kleinen Lügen lagen in Reserve mit ein paar ausweichenden Sätzen, die immer paßten. Sie schadeten weder dem Sprecher noch dem Zuhörer. Doch ich wußte auch, daß die Frau, mit der ich seit so vielen Jahren zusammenlebte, den Kummer, der sich zweifellos in meinem Gesicht spiegelte, bemerken und nach der Ursache forschen würde, mochte ich mich noch so bemühen, ihn zu verbergen. Ich glaubte, ich könnte mich hinter der Erzählung von Necmi und dem, was er mir anvertraut hatte, verkriechen. Ich war mir sicher, Çela wollte die Geschichte hören. Anfangs hatte der Gedanke dieses Treffens nach so vielen Jahren auch sie begeistert. Ich konnte ihr nicht alles verheimlichen. Zudem war es auf diesem Weg viel leichter, mein Leid zur Sprache zu bringen. Ich erzählte also von Necmis Inhaftierung, wie er sein Auge verloren hatte, von seinem Auslandsaufenthalt, von Ira, seiner Rückkehr, von Nihal … Sie hörte interessiert zu, wobei sie manchmal sehr bewegt war. Wie eine wirkliche Freundin … Sie sagte, sie wolle ihn sehen, näher kennenlernen … Ihre Worte wärmten mir das Herz. Sie kam mir sehr nahe. Ich hatte mich ihr schon lange nicht so nahe gefühlt. Doch leider konnte ich ihr trotz dieser Annäherung in dem Augenblick nichts von Şebnem erzählen. Vielleicht fühlte ich mich schuldig, als hätte ich sie irgendwie betrogen. Hatte ich sie wirklich betrogen? … Das war eine gefährliche Frage, und ich entschied mich, hier innezuhalten. Ihr entging nicht, daß ich stockte. Die weibliche Intuition erzeugte wieder einmal ein weibliches Mißtrauen. Hegte sie den mit Besorgnis gemischten Verdacht, meine Geschichte hätte auch eine Seite, die ich nicht erzählen wollte? … In diesem Moment mußte ich auf jede Möglichkeit gefaßt sein. Zudem waren ihre Worte überaus besorgniserregend.
    »Du hast irgend etwas.«
    Ich fühlte mich ertappt, aber mir wurde noch einmal klar, das ich dieses ›Etwas‹ jedenfalls nicht an jenem Abend mitteilen konnte. Ich verkroch mich hinter meiner Müdigkeit. Einer allumfassenden Müdigkeit. Ich hatte letzte Nacht kaum geschlafen, stand unter dem Eindruck dessen, was Necmi gesagt und woran er erinnert hatte. Ich wußte nicht, wie überzeugend das klang, was ich sagte. Sie antwortete nicht, gab keinen Kommentar ab. Ich hakte ebenfalls nicht nach. Je weniger wir sprachen, desto besser. Gemeinsam deckten wir den Tisch ab. Dabei versäumte ich nicht, zu sagen, daß das Essen sehr lecker gewesen sei. Gut, wenn es mir gelang, die Lage zu entspannen. Sie lächelte. Sie hatte auf das kleine Lob gewartet, und es schien so, als wollte sie ihrerseits die Stimmung verbessern. Im Fernsehen lief eine Serie, die sie nicht verpassen wollte, sie mußte sofort schauen gehen. Ich sagte, ich wolle etwas Musik hören, und ging in den Salon. Ich hörte ein wenig Georges Moustaki, etwas Charles Aznavour. Diese Chansons hatten wir früher sehr geliebt. Besonders Şebnem hatte sie geliebt. Sowieso war sie es gewesen, die mir Moustaki nahegebracht hatte. Damals hatten wir Schallplatten. Unsere Platten, die wir unter tausend Beschwerlichkeiten erworben, mit Bitten und Betteln von Bekannten und Verwandten aus dem Ausland hatten mitbringen lassen, die wir sorgfältig geschützt und aufbewahrt hatten … Dann waren CD s gekommen. Wußte

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