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Wodka und Brot (German Edition)

Wodka und Brot (German Edition)

Titel: Wodka und Brot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mira Magén
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wie das übrige Haus. Über dem Spülbecken hing ein Trockengestell aus Metall, es gab einen Handtuchhalter aus Holz, Schränke aus glattem, weißemResopal, eine graue Marmorplatte als Arbeitsfläche, ein großes, rechteckiges Fenster, das auf einen dunklen Garten hinausging, endlos, als sei dieses Anwesen aus den Lichtkreisen des Mondes oder der Sonne herausgeschnitten. Das Wiehern der Pferde drang vom Stall herüber und das Rasseln der Hundeketten.
    »Zwei Hunde, drei Pferde und du. Fällt dir diese Einsamkeit nicht schwer?«
    »Nein, es fällt mir schwerer, mit Menschen zusammen zu sein.« In der Edelstahlkanne war ein Aufguss aus Zitronenverbenenblüten und Pfefferminzblättern, er stellte zwei Teegläser auf ein Tablett, Löffelchen, einen Teller mit Rosinen und Pekannüssen, noch in Schalen. Dann brachte er das Tablett zum großen Tisch, und wir setzten uns wieder.
    »Wenn es so ist, sind der Junge und ich eine Last für dich.«
    »Wirklich nicht«, sagte er kurz und entschieden. »Außerdem bin ich euch für die Nächte, die ich bei euch geschlafen habe, auch etwas schuldig, und dafür, dass ihr die Katze für mich behalten habt.« Und mit der gleichen Sachlichkeit fügte er hinzu: »Deine Gesellschaft ist mir angenehm.«
    Angenehm. Was hieß das, dass ich ihm nicht auf die Nerven ging? Dass ich ihn nicht bedrängte? Dass ich ihn nicht nervös machte? Dass ich erträglich war wie der Stuhl, das Fenster, die Hunde? Ich knackte eine Nuss, und während ich den Kern herauspulte, kam von oben ein kurzer, scharfer Schrei des Jungen. Ich sprang vom Stuhl und rannte die Treppe hinauf. Er schlief und murmelte im Schlaf vor sich hin. Ich stand im Dunkeln vor ihm, ein schwaches Licht fiel aus dem Treppenhaus herein und warf einen hellen Fleck auf den Fußboden, dann war es wieder dunkel. Der Hausherr stand hinter mir und lauschte mit mir den regelmäßigenAtemzügen des Jungen. Nadav schlief tief, auf dem Rücken liegend, mit ausgebreiteten Gliedern, war eins mit dem Universum.
    Ich zog ihm die Decke über die Füße, er rührte sich nicht. Amos verließ das Zimmer, ich folgte ihm. Auf der dritten Treppenstufe stolperte ich und fiel nach vorn, wäre ich nicht gegen seine Beine gestoßen, wäre ich die ganze Treppe hinuntergerollt, hätte mir einen Knöchel verstaucht oder das Knie ausgerenkt. Er reichte mir den Arm und half mir, aufzustehen. Ich schwankte einen Moment und stützte mich auf ihn, ich ließ seinen Arm nicht los, auch als ich wieder fest auf den Füßen stand. Er traute mir nicht und stützte mich weiter mit seinem rechten Arm. So stiegen wir die restlichen Stufen hinunter, und dann spürte ich plötzlich den Wunsch, meinen Kopf an seine Schulter zu legen. Er blieb stehen, hob seine linke Hand zu meinem Gesicht und legte sie auf meine Wange. Ich schmiegte mich an ihn, und so standen wir auf einer der unteren Stufen, im schwachen Licht, zwischen den hohen, leeren Wänden, und ich atmete viele Liter Luft, bevor ich sagte: »Küss mich auf den Kopf, wie man ein Kind küsst.«
    Er küsste mich mitten auf den Kopf. Ich spürte seine Lippen auf meiner Haut, und ihre Wärme drang bis in mein Gehirn.
    »Komm hinunter«, sagte ich. Meine Stimme kam besiegt und zerbrochen aus meinem Mund. Zum Teufel mit Moral und Schuldgefühlen, diesen Schildwachen der Seele, die die Lust abtöten, noch bevor sie da ist, ohne zu fragen, was und warum. Wir gingen hinunter, mein Kopf lag da bereits nicht mehr an seiner Schulter, doch er stützte mich noch immer, berechtigterweise, meine Beine hörten nicht auf zu zittern.
    Es war dumm, zu verzichten, schließlich hätte kein Mensch deswegen gelitten, niemand wäre betrogen worden oder hätte etwas verloren, wenn wir miteinander geschlafen hätten. Nun, da wir es nicht getan hatten, kam er mir womöglich noch anziehender vor als vor dem Nichts, das auf der Treppe geschehen war. Auch ich wurde wirklicher und vielleicht sogar schöner. Ich sah es ihm an. Er war nicht verlegen, im Gegenteil, er war sehr ruhig, als habe er die Antwort auf eine Frage bekommen, die ihn bedrückt hatte, und von diesem Moment an war unsere Unterhaltung leicht und selbstverständlich. Er erzählte, dass er dieses Anwesen aus dem Nichts aufgebaut hatte, nachdem er vor zehn Jahren alles verloren hatte. Seine Frau hatte ihn wegen des Unglücks verlassen, man könnte sagen, durch seine Schuld sei ihr alles genommen worden, deshalb habe er ihr das Haus und die gemeinsamen Ersparnisse überlassen, die Spielsachen des

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