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Wodka und Brot (German Edition)

Wodka und Brot (German Edition)

Titel: Wodka und Brot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mira Magén
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anhören mag, aber anscheinend schreibt die weibliche DNA eine Sehnsucht nach dem charmanten, starken Fremden vor den Brücken des Madison County vor. Aber es war nicht das Leder, das Metall oder der Hut, es war der Stempel, den ein schweres Schicksal seinem Gesicht aufgedrückt hatte, das verhaltene Lächeln, der Blick eines Mannes, den Gott an den Haaren gepackt und herumgewirbelt hat, dem er einen Blick in den Abgrund und ein anderes Wissen über das Leben gewährt hat.
    Wir blieben über Nacht, Amos schlug es vor, und der Junge bettelte darum, und außerdem fehlten wir im Dorf niemandem, außer vielleicht dem Alten. Wir bekamen ein geräumiges, minimal möbliertes Zimmer im oberen Stock. Zwei Betten, ein schmaler Holzschrank, zwei Stühle und ein Fenster mit Fensterläden aus Metall. Das Fenster ging nach Westen, auf ein Wäldchen aus Kiefern und dicht belaubten Eichen hinaus.
    Ich schlief nicht mit dem Sohn des Alten, aber wir waren nicht weit davon entfernt. Man könnte sagen, es war unvermeidlich, und trotzdem vermieden wir es. Der Junge war sofort eingeschlafen, wir saßen in der großen Diele im unteren Stock, Leder und Metall hatte er abgelegt, auch den Cowboyhut. Er war mager, sonnengebräunt und nicht mehr jung. Weil es weder Sessel noch ein Sofa oder einenTeppich gab, saßen wir einander an dem langen Esstisch gegenüber, wie bei einem Schachspiel, ohne Brett, ohne Turm und ohne Königin. Wir saßen jeder auf seinem Platz und unterhielten uns miteinander, es gab nichts, wohin der Blick abirren konnte, die leeren weißen Wände ließen keine andere Wahl, der Blick wanderte vom Bild des toten Jungen zu seinem Vater, der mir gegenübersaß. Ich erzählte ihm von unserem Leben in den letzten Monaten und beschrieb das Leben, das wir geführt hatten, als die Tage noch so gewesen waren, wie sie hatten sein sollen. Ich sprach viel und schnell, als hätte ich nicht genug Zeit, die Worte strömten aus mir heraus, denn sie hatten noch niemals bessere Bedingungen vorgefunden. Mein Gesprächspartner war neutral und ohne Forderungen, zufällig und nicht wirklich beteiligt, ohne Verstellung, und wenn er etwas fragte, tat er es nicht aus Höflichkeit, und er hörte auch nicht aus Höflichkeit zu. Ich beschrieb ihm in allen Einzelheiten die Szene meines Zusammentreffens mit Gideon auf dem Russischen Platz, einschließlich der vier Löcher, die ich ihm in die Handfläche gebohrt hatte. Ich erzählte auch von Gideons Magerkeit und seinem geschorenen Kopf. »Ich weiß nicht, ob es eine chemische Störung des Gehirns ist oder ein Ausdruck absoluter Freiheit. Als ich ihn heiratete, war er jedenfalls gesund genug, um die Last eines gemeinsamen Schicksals zu übernehmen. Und dann, eines Tages, gab es einen Schlag, und alles war vorbei …«
    Emotion kam und rieb sich an meinen Beinen, sie war noch ängstlich in ihrem neuen Zuhause und besonders ihrem neuen Hausherrn gegenüber scheu. Ich beugte mich zu ihr und strich ihr über das Fell, denn obwohl sie wirklich unerträglich war, verdiente sie es nicht, allein auf der Welt zu sein.
    Er fragte, ob ich etwas trinken wollte.
    »Es brennt noch nicht.« Das war eine dumme Antwort, er hätte ihr entnehmen können, dass ich eine lange Sitzung plante. Ich schwieg, betrachtete die Katze, die sich an meine Beine schmiegte, und auch er schwieg, vermutlich betrachtete er mich, denn er sagte plötzlich: »Die geschorenen Haare, die du hattest, als wir uns zum ersten Mal auf dem Friedhof trafen, haben dir sehr gut gestanden.«
    »Und jetzt, wo die Haare ein bisschen gewachsen sind?«
    »Weniger gut.«
    »Seltsam, dass du überhaupt etwas zu meiner Frisur sagst.«
    »Warum?«
    »Weil dich das nicht wirklich interessiert.«
    »Wenn ich ein Bild sehe, das schief hängt, hänge ich es gerade.«
    Ich war nicht gekränkt. Dieser Mann würde, wenn er alt war, so unsympathisch werden wie sein Vater. Wie alt war er eigentlich? Fünfzig? Dreiundfünfzig? Achtundvierzig? Ich nahm an, dass es zwischen uns einen Altersunterschied von etwa zwanzig Jahren gab.
    »Im letzten Monat musste ich mich um Wichtigeres kümmern«, sagte ich.
    »Ja, natürlich.« Er stand auf, um einen Kräutertee zu bereiten. Ich folgte ihm in die Küche, ich wollte nicht allein mit dem Jungen hinter Glas bleiben. Die Katze lief mir nach, ruhig und demütig. Er bewegte sich geschickt in seiner Küche, und weil er meine Hilfe nicht brauchte, schaute ich mich um. Die Küche war mit der gleichen sparsamen Bescheidenheit eingerichtet

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