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Wodka und Brot (German Edition)

Wodka und Brot (German Edition)

Titel: Wodka und Brot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mira Magén
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Jungen, seine Kleidung, seine Bücher, alles, was er jemals berührt hatte, sie hatte ihm noch nicht einmal die Zahnbürste des Jungen geben wollen. Der Alte hatte die Schuhe genommen, die man dem Jungen in der Pathologie ausgezogen hatte. Das war’s. Ihm, dem Vater, war noch nicht einmal ein Schnürsenkel geblieben, kein Knopf, kein Strumpf, kein angebissener Keks. Nur ein kleines Foto, das er in der Brieftasche gehabt hatte und mit dem er zu einem Fachmann gegangen war und gebeten hatte, es auf ein natürlicheres Format zu vergrößern. »Es ist das Foto, das du hier an der Wand siehst.«
    »Dein Haus ist wie ein Kloster, der Heilige hängt an der Wand und außer ihm gibt es nichts.«
    »Das Haus ist kein Kloster, und ich bin kein Mönch. Ich trinke sehr häufig Wein.«
    »Und Frauen? Hattest du seit damals eine Frau?«
    »Keine, die einer Erwähnung wert wäre.« Er schaute hinüber zu dem offenen Fenster, in die große Dunkelheit, und sagte, er habe weder das Interesse noch die Geduld für eine Beziehung mit einer Frau. Er könne keine Frau brauchen, die komme und den Sack mit ihrem Leben in seinem Haus aufhänge. Das sei das letzte, was er brauche, dass jemand komme und ihn von der Tatsache ablenken wolle, dass er einmal einen Sohn gehabt hatte und jetzt keinen mehr hatte.
    »Strafst du dich? Warum ist es dir so wichtig, das Unglück jede Minute neu zu leben?«
    »Ich lebe nicht das Unglück, ich lebe den Jungen. In mir lebt und atmet der Junge weiter, egal was passiert, er wird nicht vor mir sterben. Wir werden gemeinsam sterben. Ich brauche keine Frau, die mich bedauert und versucht, meine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Mir geht es gut mit den Pferden, den Hunden und den Oliven, die ich ernte. Außer Zuneigung, ein bisschen Achtung und Essen erwarten die Tiere nichts von mir.« Er atmete tief. Er war nicht gewöhnt an Bekenntnisse, vor allem nicht an Vorträge. Und weil er seine Karten offen auf den Tisch gelegt hatte, war auch ich aufrichtig und ohne Winkelzüge.
    »Und wenn wir uns vorhin hätten hinreißen lassen, miteinander zu schlafen, wäre das auf Kosten des Jungen gewesen? Hättest du mich danach verflucht?«
    »Nein.« Er wandte das Gesicht vom Fenster, einen Moment später schaute er wieder hinüber und fragte: »Dieses Mädchen, die Kleine, die die Katze gebracht hat, wie geht es ihr?«
    Ich war eifersüchtig. Es war ein scharfes, schmerzhaftes Gefühl. Ich sprach über zusammen Schlafen, und ihm kam Rivka Schajnbach in den Sinn. Ich spürte bis ins tiefste Innereeine Eifersucht, die nichts mit Vernunft zu tun hatte, denn was hatte ich mit seiner Lust zu tun, und was hatten er und ich überhaupt miteinander zu tun, und wenn ich ehrlich war, musste ich zugeben, dass Madonna ihm genau das hätte geben können, was er brauchte, und dass sie ihm nichts wegnehmen würde, außer Geld.
    »Gut, mein Laden hat noch nie so viel eingebracht wie unter ihren Händen«, sagte ich trocken und schämte mich vor mir selbst. »Ihr Leben ist nicht leicht, aber es gelingt ihr, etwas Tolles daraus zu machen. Sie ist stark, eine, die überlebt.«
    »Ja«, sagte er und knackte eine Nuss zwischen den Händen. »Das Leben hat sie einstweilen noch nicht zerbrochen, sie gehorcht ihrem Bauchgefühl.«
    »Du auch«, sagte ich, und mein Telefon flackerte mir eine Nachricht von Gideon zu: »Hast du eine Minute Zeit?«
    Was konnte er mir schon in einer Minute sagen? Was hatte er zu fragen? Mitzuteilen?
    »Mein Mann«, sagte ich und tippte seine Nummer ein. Amos stand auf und ging hinaus, um meine und seine Privatsphäre zu wahren.
    »Was ist los?« Ich achtete darauf, diese drei Wörter betont sachlich klingen zu lassen.
    »Ich brauche Geld. Nicht viel. Nur so lange, bis ich eine Arbeit gefunden habe.«
    »Und wo liegt das Problem? Geh zum Automaten und hol dir, was du brauchst. Einstweilen gehört uns das Geld gemeinsam.« Ich war kühl wie eine Angestellte am Busbahnhof.
    »Ich habe das Gefühl verloren, Amia, nicht die Moral, ich möchte nicht auf deine Kosten leben. Ich bitte dich um ein kurzzeitiges Darlehen.«
    »Okay.« Ich wollte mit seiner Gefühllosigkeit konkurrieren, aber der Preis waren heftige Kopfschmerzen.
    »Wie viel gestehst du mir zu?«, fragte er.
    »Im Ernst, Gideon, nimm, so viel du willst, und geh zum  Teufel.« Ich drückte einen Finger gegen die Schläfe, denn ich hatte das Gefühl, sie würde gleich platzen. Der tote Junge schaute mich vom Foto herunter an, das Wort, das zwischen seinen Lippen

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