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Wodka und Brot (German Edition)

Wodka und Brot (German Edition)

Titel: Wodka und Brot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mira Magén
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machen, sagte ich, als würde ich selbst die Oberhand behalten. Und angenommen, ich wollte es wirklich tun, wo würde ich anfangen?
    Kinder? Gott? Liebe? Karriere? Gnade? Reichtum? Ehre? Im Fernsehen haben sie mal eine kaukasische Weberin gezeigt, die vom Webstuhl zurücktrat und prüfte, was ihre Hände geschaffen hatten, sie wusste genau, wie viele Säcke Mehl ein gut gelungener Teppich wert war. Auch ich trat einen großen Schritt zurück, von der Bank zum Laden, und prüfte mein Leben, um zu sehen, was ich damit anstellen musste, damit es gelingen konnte, und bis heute war mein eigentlicher Verdienst der Himmel. In der Bank hatte ich ein Modell des Himmels auf zwanzig mal sechzig Zentimeter, der Himmel, den ich von der Ladentür aus sah, war zu breit und zu schwer für ein einziges Augenpaar. Ganz zu schweigen vom Himmel über dem Dorf.
    Kinder? Ich habe es erwogen. Bestimmt waren sie etwas, für das es sich lohnte zu leben und auch zu sterben. Ich hatte ein Kind, außerdem hatte ich zwei Anfänge von Menschen gehabt, die nicht fertig wurden. Spontane Abbrüche nennt man das, als hinge es vom Menschen selbst ab, ob er das Rennen aufgibt, bevor es begonnen hat, als ob er beschließenkönne, sich aufzulösen, bevor er groß genug war, herauszukommen und zu kämpfen. Schon lange bettelte das einzige Kind, das wir hatten, um einen Bruder, sagte, es mache ihn sauer, dass alle anderen Geschwister hatten, nur er nicht. Ich war jung, auch Gideon war jung, wenn die Fische seine Sicht auf das Leben nicht änderten, würde er weitere Kinder wollen. Wir könnten versuchen, Nadavs Wunsch zu erfüllen, und zwei oder drei Kinder haben, wir würden uns bemühen, sie vor allen Krankheiten und Plagen zu bewahren und all ihre Fragen zu beantworten, so schwierig sie auch sein mochten. Aber was würden wir tun, wenn das Leben ihnen trotzdem Schmerzen zufügen würde? Wir könnten ihre Erschaffung nicht rückgängig machen und sie dem Nichts zurückgeben, in dem sie vor ihrer Existenz gewesen waren, und wenn wir in Not wären, müssten wir uns die Frage stellen, ob es nicht besser für den Menschen war, nicht geboren zu werden.
    Gideon erfuhr alle Details des Tages am Telefon, von der Petersilie bis zum Schnürsenkel. Ich wusste nicht, von wo aus er mir zuhörte, vom Deck eines alten Fischerboots, aus der Lobby eines billigen Hotels, aus einer dämmrigen Bar oder von einem Korallenriff. Ich beschrieb ihm Nadavs Nachgiebigkeit und Zartheit und meine Hände, die zugleich schlagen und streicheln wollten.
    »Willst du, dass ich zurückkomme?«
    »Nein. Komm dann, wenn du meinst, dass du deine Auszeit erschöpft hast.« Ich fragte nicht, ob er zu einer Schlussfolgerung gekommen war und neue Lebenseinsichten gewonnen hatte, ob er sich nach seiner schwarzen Robe sehnte, nach zu Hause, nach mir. Wir erwähnten diesmal auch weder Gott noch den Laden, ich wollte über den Jungen sprechen.
    »Er möchte einen kleinen Bruder.«
    »Nun, man kann nicht sagen, wir hätten es nicht probiert.«
    »Wir können es noch einmal probieren.«
    »Wir sollten lieber erst schauen, wo wir stehen«, sagte er, und ich hörte, dass er etwas trank, vielleicht Whisky.
    Möglicherweise hatte er wieder angefangen zu rauchen. Während seiner Zeit in der schwarzen Robe hatten ihm die Zigaretten nicht mehr gereicht, er war auf Zigarren umgestiegen, und trockener Wein hatte ihm nicht so gut geschmeckt wie der erlesene Whisky, den er in der gut sortierten Weinhandlung kaufte. Aber als er mit dem »wer und was bin ich« anfing, hatte er sich die Zigarren abgewöhnt und den Whisky ins Spülbecken gekippt und den Ausguss besoffen gemacht, die ganze Küche roch nach Kneipe. Er sagte, sein Kopf sei voll genug, auch ohne Alkohol und Nikotin.
    Bis er das Haus verließ, hatte er durchgehalten. Woher sollte ich wissen, was jetzt war? Er besaß einen anderen Himmel, eine andere Zeit, eine andere Dunkelheit, eine fremde Matratze, einen anderen Geruch, er besaß T-Shirts und Flipflops, keine Ahnung, welchen Einfluss all diese Dinge auf seine Neigungen und seine Bedürfnisse hatten. In schweigendem Einverständnis stellte ich keine Fragen, und er fragte ebenfalls nichts.
    »Und wie geht es dir?«, fragte er am Schluss.
    »Mir geht es prima.«
    Ich hatte ihm nicht gesagt, dass ich vorhatte, meinen Zopf abzuschneiden.
    Nadav war der Erste, der ihn bemerkte, als wir am nächsten Tag von der Arbeit zurückkamen. »Da ist Papa!« Er riss sich von meiner Hand los und rannte auf das Haus zu,

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