Wodka und Brot (German Edition)
dich nie mehr hier sehen.«
»Warum?« Sie stopfte den Schein in die Innentasche ihres Jacketts und schaute mich an, in jedem ihrer Augen blitzte ein verkleinerter Mond.
»Was heißt warum?«
»Warum willst du mich nie mehr hier sehen?«
»Weil ich keine Sozialstation bin und keine Fürsorgestelle.«Die Worte, die ich sagte, taten mir an den Zähnen weh wie Eis. Sie stand auf, sie schlug sich nicht den Staub aus der Kleidung und strich sie auch nicht glatt, sie ging am Haus entlang zur Vorderseite und betrat die einzige Straße des Dorfes. Mager und kindlich sah sie aus, das Licht der Straßenlaterne fiel auf ihre kurz geschnittenen Haare, jugendlich, sie schob die Hand in ihre Jackentasche, wählte aus ihrem Repertoire für verschiedene Situationen die Rolle einer Katze, bog den Rücken, wölbte den Hintern und lief zum Eingangstor des Dorfes, mit verführerischen Schritten, bereit, anzugreifen, wenn es nötig wäre, gleich würde sie auf der Landstraße sein, sie würde, sobald sie die Scheinwerfer des ersten Autos sah, das aus dem Tal heraufkam, winken und in jedem x-beliebigen Auto verschwinden, dessen Tür geöffnet wurde.
Warum hatte ich sie nicht gefragt, gegen was das Medikament war, das sie nahm. Hundert Schekel reichten für eine Flasche Wodka und zwanzig Zigaretten, eine geringe Spende für das Schwärzen der Lunge und eine Leberschrumpfung. Diese Nacht wurde sauer, die weiße Scheibe des Mondes hatte an Wert verloren. »Shit«, zischte ich und sprühte Spucketröpfchen auf mehr oder weniger die ganze Welt, dann ging ich wieder ins Haus. Hinter dem Rollladen des Alten war ein Rascheln zu hören. Seine neugierigen, vom Star getrübten Pupillen verfolgten uns.
Am nächsten Morgen lugte aus unserem Briefkasten ein grünes Blatt Papier in Spaghettilänge und enthielt eine erhebende Nachricht: »Der Mensch, vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe.« Der strafende Prophet beherrschte wieder unseren Briefkasten, zwängte das Leiden Hiobs hinein und sagte nichts Neues. Als wüsstenwir nicht, dass wir von Frauen geboren und unsere Tage gezählt waren. Und was die Unruhe betraf, so war sie offenbar nicht gleich verteilt. Der Alte zum Beispiel hatte eine ziemlich große Portion erhalten, und sie reichte ihm immer noch nicht.
3
Die Augen hinter dem Fenster gegenüber verfolgten alles, was wir taten, in ihnen wechselten sich Licht und Schatten ab, sie wurden von Lidern bedeckt, zogen sich im Wind zusammen, und manchmal schlossen sie sich auch von allein. Nadav sagte, es sei wirklich lästig, dass der Alte die ganze Zeit am Fenster stehe.
Die Abende im August waren lang, bis sieben oder acht Uhr abends hielten wir uns draußen auf, betrachteten den großen Auftritt der Sonne, wenn sie unterging, den roten Glanz, den sie über den Wald breitete. Uns blieb weniger als eine Woche bis zum letzten Monat des Jahres, dem Monat der Gebete um Vergebung und des Erbarmens, danach würden die Uhrzeiger verschoben, und wir bekämen eine melancholische Stunde umsonst geschenkt. Einstweilen vermischten sich die Gebote des Staates und des Himmels noch nicht, die Tage waren einfach, und noch vor der Zuteilung der Zeit und des Erbarmens schaffte ich es, Petersilie zu säen, Geranien zu pflanzen und Zyklamenzwiebeln in die Erde zu stecken.
Vögel versammelten sich auf dem Dach des Alten und hielten aufrecht und schweigend Wache zu Ehren des vergehendenTages. Der Alte bewegte den Kopf nach links und nach rechts und bewachte unsere Schritte. Nadav warf ihm heimlich einen Blick zu und murmelte zornige Worte vor sich hin. Er spielte mit seinem roten Feuerwehrauto auf dem Sandweg zwischen dem Haus des Alten und dem, das wir von ihm gemietet hatten, stieß an- und abschwellende Sirenengeräusche aus, rettete Ameisen vor dem Feuer, bis er das Auto quietschend anhielt, erschreckt von der befehlenden Stimme: »Zieh deine Schuhe aus, Junge, sie sind neu, sie haben viel Geld gekostet, mach sie nicht dreckig.« Der Motor des Feuerwehrautos erstarb, das Feuer erlosch, Nadav hockte sich hin und verbarg das Gesicht zwischen den Knien.
»Sind sie auch Größe achtundzwanzig?«
Nadav nickte, aber der Alte sah es nicht. Er beherrschte den Weg von oben, aus einer Höhe von mindestens zwei Metern.
»Sag, achtundzwanzig oder siebenundzwanzig? Was für eine Größe hat man dir gekauft?«
Der Junge schob den Kopf noch tiefer, bis seine Ohren von den Knien gequetscht wurden.
»Ich fresse keine Kinder. Heb den Kopf, los, Junge, hast
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