Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wodka und Brot (German Edition)

Wodka und Brot (German Edition)

Titel: Wodka und Brot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mira Magén
Vom Netzwerk:
gesichert, und wäre er da gewesen, für mich und das Kind, hätte es ihn von innen angenagt. Nun, da er sich eine Auszeit von allem genommen hatte, nagte es ihn ebenfalls von innen an. Wie man auch handelt, man ist nie frei von Fehlern und Schuld. Wann ist ihm der Fehler unterlaufen? Als er Jura studierte? Als wir geheiratet haben? Als der Junge geboren wurde? Was spielte es für eine Rolle, der Zwang, Fehler zu begehen, liegt tief in uns, er ist so stark wie Hunger und Sex.
    Ich bereitete eine große Schüssel Salat vor, würzte ihn und fügte Sonnenblumenkerne und gehackte Walnüsse hinzu. Sie kamen zurück, und wir aßen. Nadav war müde, sein Vater brachte ihn ins Bett, wie früher, aber der Jungeschlief ein, bevor die Geschichte zu Ende war. Drüben beim Alten waren die Rollläden heruntergelassen, wir ließen auch unsere herunter und gingen ins Bett. Wir sprachen sehr wenig. Innerhalb von Sekunden wussten unsere Körper, was sie verlangen und was sie geben mussten. Wir liebten uns wie früher, wie immer. Vielleicht war es etwas mehr als früher, aber nicht viel. Und dann stand er auf, ging zum Fenster und zog den Rollladen ein Stück höher. »Ich möchte dich sehen.« Er beugte sich über mich und betrachtete im schwachen Licht, das von draußen hereinfiel, meinen nackten Körper, zeichnete mit einem unsicheren Finger meine Konturen nach, beginnend an der Stirn und entlang der Linie, die über meinen ganzen Körper führte, und alle Poren und Körperöffnungen wurden berührt und öffneten sich, und alles, was Ausscheidungen hatte, war da, einschließlich der Tränen. Wir begannen von Anfang an und dachten nicht darüber nach, warum seine Hand so mager geworden war, und warum sein Bariton nicht mehr war wie früher, und auch nicht darüber, was war, oder über umfassende Einsichten zur menschlichen Existenz, wir überließen uns der Lust, die mit uns machte, was sie wollte, sie schwemmte uns davon, und danach waren wir erschöpft und schliefen wie Kinder.
    Am Morgen benahmen wir uns wie immer. Eine Familie, die gründlich die Zähne putzt, zwei Tassen Kaffee und eine Tasse Kakao trinkt, Cornflakes isst, sich die Reste der Cornflakes aus dem Mund spült, sich kämmt, das Haus verlässt und mit dem familieneigenen Mazda losfährt. Genau wie Millionen anderer Menschen in der westlichen Welt. Auch an diesem Morgen schaute der Alte aus dem Fenster, er spähte uns unter halb gesenkten, geschwollenen Lidern hinterher, auch an diesem Morgen lugte ein Blatt Papier ausdem Briefkasten und verkündete: »Die gestohlenen Wasser sind süß, und das verborgene Brot schmeckt wohl.«
    »Jeden Tag wirft man bei uns solche Zettel rein«, sagte Nadav.
    Auch aus dem Briefkasten des Alten und anderen Briefkästen ragten Blätter. Gideon sah und hörte uns zu, sagte aber nichts. Ich chauffierte, und er saß neben mir und betrachtete die Häuser, an denen wir vorbeifuhren, die gepflegten Gärten, die Rasenflächen, auf denen Tau glitzerte, die Holzschilder, auf denen die Namen der Bewohner standen.
    »Das ist das Haus von Schoschana«, verkündete der Junge von seinem Sicherheitssitz auf der Rückbank aus. Er erzählte Gideon, dass Schoschana die Tochter dieses lästigen Mannes sei, der die ganze Zeit Fragen nach seinen Schuhen stelle. Er erzählte auch von Schoschanas Kindern, die langsam seine Freunde würden, aber Gideon hörte nicht zu, er versuchte, mit den Zähnen ein Stück Fingernagel abzureißen. Seine Schultern hatten an Straffheit verloren, seit er Fischer geworden war und sich den ganzen Tag zu den Fischen bückte. Der Junge redete und redete, sein Vater kämpfte mit dem Fingernagel, und ich empfand einen plötzlichen Impuls zu bremsen, damit wir alle durcheinandergeschüttelt würden.
    Wir brachten Nadav zum Kindergarten, dann fuhren wir zum Laden, und dort küssten wir uns, wie sich Paare auf der westlichen Hemisphäre küssen, wenn sie sich morgens voneinander verabschieden. Ich stieg aus, und Gideon wechselte auf den Fahrersitz. Ich betrat den Laden, und Gideon fuhr zu seinen Eltern, Bezalel und Alisa, den Großeltern unseres Sohnes, die in der Scharonebene leben, in einer hoch entwickelten Stadt, mit Duplex und in einerWohnung mit Fenstern nach allen Himmelsrichtungen. Sie handeln mit Beleuchtungskörpern, und ihre blühende Firma heißt Babek (die Anfangsbuchstaben von: Bezalel Alisa Beleuchtungskörper). Ihre fünf Angestellten tragen braune Hemden mit dem Aufdruck »Babek, für alle, die schon alles haben«. Und

Weitere Kostenlose Bücher