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Wodka und Brot (German Edition)

Wodka und Brot (German Edition)

Titel: Wodka und Brot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mira Magén
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meine Mutter sah aus, als würde sie jetzt lieber im Laden stehen und zweihundert Gramm Schnittkäse schneiden.
    Alisas Gesicht wechselte den Ausdruck, ihre selbstgefällige Miene zeigte deutlich, was sie nicht aussprach: Gut, wenn ihr freiwillig auf eine Rente verzichtet habt, seid ihrvermutlich gar nicht so schlecht dran. Ihr habt zwei Kinder zu versorgen? Nun, dann strengt euch eben an. Gideon verstand den Wechsel im Gesicht seiner Mutter und schnappte nach Luft. Mein Vater senkte den Blick auf seine Schuhe und plante eine Rede, die bald auf diesen Staat übergehen würde, der ohne die sechs Millionen, die ins Gas gegangen waren, nicht entstanden wäre. Wer hier geboren wurde, schulde jenen viel, die dort waren, ohne die sechs Millionen wärt ihr noch unter britischem Mandat. Ohne die Schoah hättet ihr für eure Firma die Genehmigung des britischen Gouverneurs gebraucht …
    »Wir brauchen keine Wohnung, wir bekommen eine Wohnung im Studentenheim«, sagte ich, bevor mein Vater mit seiner Rede anfangen und die sechs Millionen ins Zimmer bringen würde. Ich hatte genug davon, dass immer die Schoah zu Hilfe gerufen wurde, es hing mir zum Hals heraus.
    »Geld für Miete auszugeben, das ist, als würde man Geld in den Müll werfen«, verkündete Bezalel und knüpfte seine Krawatte auf.
    »Wer hat von Miete gesprochen? Ein symbolischer Beitrag zum Unterhalt, darum geht es. Es gibt dort einen Kühlschrank, eine Waschmaschine, einen Herd, Strom, Wasser, alles auf ihre Kosten.« Gideon wiederholte meine Worte, und wenn es nötig gewesen wäre, ein Zebra zu erfinden, um die Sache zu klären, hätte er ein Zebra erfunden.
    Bezalel sagte, umsonst bekomme man nur in der zukünftigen Welt etwas, er wolle wissen, warum man uns etwas geben wolle und was diese Leute davon hätten.
    »Was sie davon haben? Sie wollen, dass die Guten bei ihnen bleiben«, sagte Gideon und nahm gewichtig einen Schluck Likör.
    »Warum habt ihr das nicht gleich gesagt?« Seine Mutterschlug die Beine übereinander und legte ihre Tasche auf den Schoß, als wolle sie sagen, gut, wir gehen jetzt.
    Sie gingen, und mein Vater war zufrieden damit, dass er ihnen außer dem Käsekuchen auch noch ein Stück Schoah vorgesetzt hatte.
    »Bestimmt können wir dir eine halbe Wohnung bezahlen«, sagte mein Vater. »Hast du gedacht, wir könnten es nicht? Wirklich? Wer selbst kein Haus hatte, wird sich umbringen, um seinem Kind ein Haus zu bieten.«
    »Warum hast du es dann nicht gesagt?«
    »Ich will nicht, dass sie hinterher sagen, da sieht man’s, wie diese Überlebenden im Leben zurechtkommen, es kann gar nicht sein, dass sie ohne etwas angekommen sind, sie machen aus dieser Schoah eine größere Katastrophe, als sie es war. Ich will dir etwas sagen: Nur wer hier geboren ist, kann sich erlauben, pinkelnde Figuren zu verkaufen und damit auch noch Millionen zu verdienen. Wer von dort kommt, verkauft Brot und Oliven.« Zur Feier seines Sieges über die Eltern seines zukünftigen Schwiegersohns goss er sich noch ein Glas ein, und als er es geleert hatte, war die Feier zu Ende. Er zog sich wieder in sich selbst zurück, wurde ernst, schwieg, machte eine der 40-Watt-Birnen aus,  zog  den Stecker des Springbrunnens aus der Dose, rollte die Verlängerungsschnur zusammen und legte sie wieder auf den Stauboden. Der Löwe war für immer ausgegangen, und das Becken wurde im Winter als Behältnis für Orangenkerne benutzt und im Sommer für Aprikosenkerne.
    Am Schluss wurde unsere erste Wohnung vom Geld des Porzellans und des Brotes gekauft, zweieinhalb Zimmer und ein Schuppen. Nach vier Jahren, als Gideon sich schoneinen Namen gemacht hatte und ich bei der Bank gut vorankam, verkauften wir sie und kauften uns eine Vierzimmerwohnung mit Dachterrasse und Aussicht auf die westlichen Hänge der judäischen Wüste.
    Nun war unsere Wohnung abgeschlossen. Gideon hatte bei den Fischen Exil gefunden, der Junge und ich waren im Dorf, Bezalel und Alisa suchten die Schraube, die bei uns locker war, denn wie war es möglich, dass zwei begabte Akademiker mit großen Karrieren auf dem Weg nach oben plötzlich vom Pferd stiegen. Alisa sagte, Gott habe jemandem ohne Zähne Nüsse geschenkt, und Bezalel war der Ansicht, wir hätten besonders gute Zähne gehabt, doch dann wären wir auf den Kopf gefallen und hätten sie uns ausgebrochen.
    Meinen Eltern war es gelungen, zu sterben, bevor wir vom Pferd stiegen, sie brauchten nicht nach den Schrauben zu suchen, die wir verloren hatten, und sie

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