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Wodka und Brot (German Edition)

Wodka und Brot (German Edition)

Titel: Wodka und Brot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mira Magén
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zurückgehen könnte.
    »Darf ich dich etwas fragen?«, wagte ich zu fragen, als sie die Klinke schon in der Hand hielt.
    Sie ließ die Klinke los. »Bitte«, sagte sie gespannt.
    »Warum interessiert sich dein Vater für Schuhe Größe achtundzwanzig?«
    »Nicht jetzt, bitte lass mich. Ich habe ja gesagt, dass er viel mitgemacht hat im Leben.«
    »Hat es etwas mit der Schoah zu tun?«
    »Nein, nein, er ist hier geboren.« Sie machte die Küchentür auf und sagte: »Nicht alles Unglück kommt von der Schoah. Auch hier gibt es ausgezeichnetes Leid. Gut, er soll nicht wissen, dass ich hier war.« Sie ging mit schnellen Schritten davon, verschwand im Wald und machte einen Umweg um sein Haus.
    Nadav sagte: »Ich will nicht, dass du dich um ihn kümmerst. Ich habe Angst vor ihm.«
    »Er ist alt und krank, er hat niemandem etwas getan.«
    Er nahm es mir nicht ab, sagte, wenn er krank sei, solle er ins Krankenhaus gehen und nicht an seinem Fenster herumstehen und ihm Angst machen.
    Trotzdem war er einverstanden, mit mir hinauszugehen, sich vor dem Fenster aufzustellen und dem Alten direkt in die Augen zu schauen und so die Angst zu besiegen. Er rief den Hund, und wir gingen zu dritt hinaus. Nadav stand aufrecht neben mir, in einer Haltung wie zum Singen der Nationalhymne, die geballten Hände neben den Oberschenkeln, und hob die Augen zum Fenster, nicht ohne sich versichert zu haben, dass auch ich der Angst ins Auge schaute.
    Der Alte vergrößerte die Spalten des Rollladens, dann öffnete er ihn und beugte sich hinaus, und hätte das Sonnenlicht seine Augen nicht geschlagen, wären sie ihm wohlaus den Höhlen gesprungen und auf den Rasen gefallen. Er fragte, was wir hätten und was wir wollten.
    »Mein Junge hat Angst vor Ihnen, Herr Levi. Ich beweise ihm, dass Sie nicht gefährlich sind.« Nadav drückte das Gesicht halb an mich und hielt ein Auge auf den Alten gerichtet.
    Die Sonne verzerrte das Gesicht des Alten, und wir wären nicht darauf gekommen, dass er weinte, bis wir sein Schluchzen hörten. Sein Kinn zitterte, und wir sahen, dass Tränen seine eingefallenen Wangen nässten.
    »Wer hat Ihnen gesagt, dass ich nicht gefährlich bin? Was wissen Sie überhaupt? Fragen Sie die Polizei, da wird man es Ihnen schon erzählen, Sie können auch Gott fragen, auch er weiß so einiges.« Er zitterte und stützte sich auf das Fensterbrett.
    »Komm«, sagte ich zu dem Jungen, und er nahm meine Hand und folgte mir, als wäre er einer Katastrophe entronnen. Wir betraten unser Haus und kamen mit einer Flasche kalten Wassers wieder heraus, aber der Alte beugte sich nicht vor und streckte nicht die Hand aus, um sie zu nehmen. Er stand starr im Fensterrahmen, schwer atmend und vor Schweiß glänzend, und ignorierte uns.
    Nadav schätzte die Entfernung zwischen mir und dem Fenster und sagte: »Wenn du dich auf die Zehenspitzen stellst, kommst du vielleicht dran.«
    Ich sagte, man könne niemanden zwingen zu trinken, und bedauerte den Unterricht zu den Gesetzen der Angst, den ich ihm hatte erteilen wollen. Er sagte, er habe noch nie einen Erwachsenen weinen gesehen, und fragte, was er eigentlich über die Polizei und Gott gesagt habe. Die neuen Eindrücke drängten aus ihm heraus. Er schaute Wodka an, doch der Hund schenkte ihm kein Ohr, er hatte sichim Schatten der Palme zusammengerollt, vertrieb ab und zu eine Fliege und döste. Die mediterrane Sonne war den Genen eines Deutschen Schäferhunds fremd, in dessen DNA die Kälte der Berge und der Schnee anderer Orte konserviert waren.
    Nadav versuchte, ihn aufzuscheuchen, aber der Hund reagierte nicht. Der Alte ließ sich durch seine Tränen, die inzwischen getrocknet waren, nicht beirren und befasste sich mit den nackten Füßen des Jungen. »Weißt du nicht, dass am Ende des Sommers die Schlangen herauskommen?«
    »Ich laufe gern barfuß«, antwortete Nadav und fummelte am Halsband des Hundes.
    »Was hast du gesagt? Schau mich an, wenn du mit mir sprichst.«
    »Dass ich gern barfuß laufe. Los, Wodka, auf.« Er sprang um den Hund herum, und Wodka streckte die Beine, gähnte und stand langsam und schwerfällig auf, als würde er sagen, schon gut, du Drängler.
    »Geh und zieh Schuhe an, sonst kriegst du einen Platten.« Die Stimme des Alten verfolgte den Jungen und den Hund, sie liefen davon und verschwanden aus seinem Blickfeld, und obwohl der Junge in der Nacht von Schlangen träumte und sich erschrak, war dieser Tag eine Wegmarke in seiner Beziehung mit dem Alten.
    Die Sonne war

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