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Wodka und Brot (German Edition)

Wodka und Brot (German Edition)

Titel: Wodka und Brot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mira Magén
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vielen Dank, auch euch«, hob eine Hand mit krummen Fingern zum Himmel, um uns zu zeigen, dass alles von Ihm abhing und diese ganze Ambulanz nichts wert wäre ohne Seine Hilfe.
    Gideon legte den Arm um meine Schulter, wir verließen das Krankenhaus und sahen aus wie ein verliebtes Paar, das aus dem Kino kommt. Unsere Sandalen klapperten über den gepflasterten Platz, auf dem die Krankenwagen ihre leidende Last abluden, und unser gemeinsamer Schatten ließ eine Figur mit doppeltem Kopf und vier Beinen vor uns hertanzen. Aber wir kamen nicht aus dem Kino, wir kamen von einem Kopfproblem, wir waren vorsichtig und stützten einander auf einer glatten, zerbrechlichen Bahn.
    Bevor wir Nadav von Schoschana abholten, blieben wir einen Moment vor ihrer gepflegten Villa stehen, sie hatte vom bevorzugten Baurecht für im Ort geborene Kinder profitiert, einen Bauplatz bekommen und darauf gebaut, von anderen Erben des Alten hatten wir nichts gehört und nahmen an, es gebe keine. Die Villa stach hervor durch ihr strahlendes Weiß, durch drei Stockwerke und durch die spitzen, roten Dächer, und trotzdem war sie nicht geschmacklos, die hübsche Bepflanzung um das Haus herum relativierte seine auffallende Größe. Es gab Beete mit Kapuzinerkresse, Stiefmütterchen, Schilf und Kakteen. Weder angeberische purpurne Rosen noch Tonlöwen oder Porzellanschwäne. Wir stiegen die Stufen hinauf und klopften an die Tür, und Nadav empfing uns mit einer Neuigkeit: »Sie ziehen um, sie ziehen nach Herzlija, ans Meer!«
    Wodka und Schoschanas Kinder ließen alles stehen undliegen und kamen ebenfalls zu uns gerannt, und vier Augenpaare hefteten sich auf uns, um zu sehen, welchen Eindruck die Nachricht auf uns machte. Wodka wedelte mit dem Schwanz, das Mädchen bohrte energisch in der Nase, ihr Bruder blies die Wangen auf und stieß die Luft aus, und Nadav war aufgeregt und hüpfte von einem Fuß auf den anderen, ballte die Hände und boxte in die Luft.
    »Was soll man machen, ihr wisst ja, wie es mit Hightech ist, Etans Firma hat ihm einen besseren Posten versprochen, in der Filiale in Herzlija …« Schoschana trocknete sich die Hände an einem Küchenhandtuch und lächelte entschuldigend, als wäre ein Ortswechsel wegen einer Beförderung bei uns nicht üblich.
    »Es ist nicht so, dass wir eine Villa am Strand bekommen … Im Gegenteil, hier haben wir eine Villa, dort werden wir in eine normale Wohnung ziehen.« Sie zog zwei Stühle unter dem großen Esstisch hervor. »In drei Wochen, nach den großen Ferien, aber setzt euch, warum steht ihr herum, oh, ich bin schrecklich, ich habe noch nicht mal gefragt, was die im Krankenhaus gesagt haben …«
    Ich konnte mich nicht beherrschen. »Wie hat dein Vater diese Nachricht aufgenommen?« Wen würde der Alte beschimpfen und was konnte er essen, ohne die Töpfe mit dampfender Suppe, die ihm von Schoschanas kräftigen Händen gebracht wurden?
    »Mein Vater? Das ist nicht einfach. Tatsächlich wollte ich mit dir sprechen, aber nicht jetzt.« Sie schielte zu den Kindern, die sich um uns versammelt hatten und uns mit den Augen verschlangen.
    Nadav und der Hund hüpften vor uns her, Nadav sang: »Herzlija, Herzlija«, und nieste vom Staub fremden Glücks,er drehte sich zu uns um und warf uns einen schnellen Blick zu, dann hüpfte er weiter, der Hund schnüffelte am Beet mit der Kapuzinerkresse, zertrat die Stiefmütterchen, tobte herum und blieb vor dem Schilf stehen, hob ein Hinterbein und leerte seine Blase. Der Junge betrachtete die Szene, wartete, und dann hüpften beide weiter. Nach ein paar Sprüngen blieb er stehen und fragte: »Papa, du stirbst also noch nicht so bald?« Der Hund sah, dass der Junge ihm nicht folgte, stoppte und kehrte zurück, befreit und fröhlich, wie es nur Hunde sein können.
    Nachdem ihm klar wurde, dass der Tod seines Vaters noch nicht aktuell war und der Himmel zwischen uns und Herzlija wolkenlos, sagte er »kleine russische Hure« und wiederholte immer wieder das Mantra der Freude.
    Wir saßen im Auto, ein Vater, eine Mutter, ein Sohn und ein Hund. Eine glückliche Familie, so wie alle glücklichen Familien. Stimmt nicht, Tolstoi hat sich geirrt. Die armseligen Familien gleichen einander, denn sie sind zahlreich wie Sand am Meeresstrand, wie originell kann Armseligkeit schon sein? Ich saß am Lenkrad, der Junge und der Hund saßen hinten, Gideon neben mir, und seine Hand lag auf meinem Oberschenkel, nicht aus Schwäche und nicht gedankenlos, sondern aus Liebe. Ich nahm

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